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Landeszeitung Lüneburg: Niedergang der Volksparteien dauert an -- Am 27. September wird es kompliziert Interview mit Parteienforscher Prof. Dr. Peter Lösche

Geschrieben am 03-09-2009

Lüneburg (ots) - Die Landtagswahlen mit den beiden schweren
CDU-Schlappen im Saarland und in Thüringen, die Dieter Althaus das
Amt kostete, lassen die SPD Hoffnung schöpfen. ,,Ich gehe davon aus,
dass wir am Abend des 27. September relativ komplizierte Verhältnisse
haben werden", sagt der Parteienforscher Prof. Dr. Peter Lösche. Denn
der Niedergang der Volksparteien dauere an, 5- oder
6-Parteien-Parlamente sind künftig die Regel.

Lässt sich aus den vier Wahlen vom Sonntag ableiten, dass die CDU
eine 30-plus-x- und die SPD eine 20-plus-minus-x-Partei bleiben
werden?

Prof. Dr. Peter Lösche: Ich glaube schon. Wenn man die Wahlen der
vergangenen Jahrzehnte analysiert, wird deutlich, dass die
Volksparteien im Niedergang begriffen sind und allmählich an ihr Ende
kommen. Damals entfielen bei Wahlen 90 Prozent der Stimmen auf CDU
und SPD, heute kommen die beiden zusammen nur noch auf rund 60
Prozent. Das verdeutlicht den Niedergang.

Wie lassen sich die starken Verluste der CDU in Thüringen und im
Saarland erklären?

Lösche: Das hat mehrere Gründe. Zunächst sind die
Spitzenkandidaten nicht so populär gewesen. Beim nun zurückgetretenen
Ministerpräsidenten Dieter Althaus galt das schon vor seinem
Skiunfall. Hinzu kommt, dass die CDU in zwei Kompetenzbereichen -- in
der Wirtschaftspolitik und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit --
deutlich verloren hat. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass
vor fünf Jahren der Höhepunkt der Anti-Agenda-Kampagne war und damit
äußerst günstige Bedingungen für die CDU herrschten.

Was hat die SPD falsch gemacht?
Lösche: Man kann den Niedergang der SPD am ehesten durch bestimmte
strukturelle Gründe erläutern. Zu den aktuellen Gründen gehört, dass
die Agenda 2010 von Schröder gegen die eigene Partei und -- da liegt
das noch größere Problem -- gegen die Stammwähler-Klientel
durchgesetzt worden ist. Die SPD zersplitterte dadurch weiter und
viele Wähler sind bei der Linkspartei gelandet. Zu den Gründen für
den Niedergang der SPD gehört aber auch, dass das sozialdemokratische
Milieu -- etwa Facharbeiter -- in der Wählerschaft aufgrund
ökonomischer Veränderungen schrumpft. Die SPD hat also -- selbst wenn
sie sich ihrer Stammwählerschaft versichert -- nur einen schmalen
Ausschnitt aus der Wählerschaft hinter sich.

Im Saarland stieg die Wahlbeteiligung um 12 Prozentpunkte. War das
allein der Lafontaine-Effekt oder gab es eine echte Wechselstimmung?

Lösche: Es kann auch Wechselstimmung gewesen sein. Vor allem aber
kam es in Thüringen und im Saarland auf jede Stimme an, es stand
Spitz auf Knopf. Immer dann, wenn den Wählern inhaltliche und
personelle Alternativen gegeben werden, steigt die Wahlbeteiligung.

Brauchen die Parteien mehr prägnante Köpfe?
Lösche: Sie brauchen nicht nur mehr prägnante Köpfe, sondern müssen
sich inhaltlich deutlich profilieren und abgrenzen gegenüber
konkurrierenden Parteien. Bei der SPD etwa muss das funktionale
Äquivalent für die Ost-Politik gefunden werden, die 1969/1972 die SPD
profilierte und ganz klar abgrenzte von der CDU.

SPD-Chef Franz Müntefering fordert die Ministerpräsidenten-Sessel
in Thüringen und im Saarland für die SPD ein. Ist das eher als Gag
oder als Realitätsverlust einzustufen?

Lösche: Im Saarland besteht ja die Chance, dass mit Heiko Maas ein
Sozialdemokrat Ministerpräsident wird. In Thüringen ist noch einiges
offen, allerdings scheint sich die SPD dort in eine Falle manövriert
zu haben.

In Thüringen und im Saarland dürfte es lange dauern bis eine
Regierung steht. Erwarten Sie künftig mehr solcher Hängepartien?

Lösche: Ja. Im Fünf-Parteien-System wird es sehr kompliziert
werden, Koalitionen zu bilden. Wir werden uns vertraut machen müssen
mit dem Typus von Dreier-Koalitionen, also Rot-Rot-Grün, Jamaika
(Schwarz-Gelb-Grün) oder Ampel (Rot-Gelb-Grün).

Sie haben betont, dass die Parteien mehr Profil brauchen. Eine 2-
oder 3-Parteien-Regierung bedeutet aber starke Kompromisse und damit
eine Verwässerung des Profils. Ist das der Nährboden für eine weitere
Aufsplitterung des politischen Spektrums in sechs oder mehr Parteien
in den Parlamenten?

Lösche: Der Nährboden ist ohnehin vorhanden. In solchen
Mehr-Parteien-Koalitionen muss eine Dialektik betrieben werden: Auf
der einen Seite muss Konsens gestiftet werden, auf der anderen Seite
die Unverwechselbarkeit bewahrt werden. Das ist eine Gratwanderung,
die nur gut angeseilt zu bewältigen ist. Im Übrigen glaube ich, dass
wir auf der äußersten Rechten ein Potenzial von 10 bis 15 Prozent
haben. Das hat sich bei einigen Wahlen wie gerade in Sachsen gezeigt.
Es gibt also ein Potenzial für eine sechste Partei. Wenn sie weiter
spekulieren wollen, gibt es das Potenzial bei den Freien Wählern und
den "Piraten", die eine Ein-Punkt-Partei ist, aber durchaus mit den
Freien Wählern kooperieren könnte. Dann hätte man sogar eine siebte
Partei in den Parlamenten.

Erwarten Sie, dass es bald eine große und einflussreiche
Rentner-Partei geben wird? Immerhin stellen die Rentner ein Viertel
der Bevölkerung.

Lösche: Gewiss gibt es hier ein großes Potenzial. Aber bisher sind
die Anläufe zu einer solchen großen Partei -- wie etwa mit den Grauen
Panthern -- gescheitert. Allerdings dürften die Rentner innerhalb der
großen Parteien eine zunehmend wichtigere Rolle spielen als
beachtenswerter Machtblock. Ich sehe derzeit aber keine Chance dafür,
dass sich eine große Rentnerpartei konstituiert, denn die Interessen
der Rentner sind uneinheitlich, sie driften auseinander. So wie es
unterschiedliche Typen von Nichtwählern gibt, gibt es auch
verschiedene Typen von Rentnern.

Früher gab es nur CDU und SPD, dazwischen die FDP. Es gab einen
Kalten Krieg, ein klares Weltbild mit viel Schwarz und Weiß.
Technologisierung und Globalisierung haben viele Graustufen gebracht.
Es gibt oft keine eindeutigen Antworten mehr. Hat das zur Änderung
des Parteiensystems beigetragen?

Lösche: Das hat natürlich dazu beigetragen. In den 60er-, 70er-
und auch noch 80er-Jahren war es wunderbar, dass es klare,
übersichtliche Lager gab. Das war sozial-strukturell bedingt, das war
zum Teil auch durch den Kalten Krieg bedingt. Heute ist die
Gesellschaft viel ausdifferenzierter, viel komplexer. Das zeigt sich
nicht nur in der Auffächerung des Parteiensystems, sondern auch
darin, dass die beiden großen Parteien in sich gespalten sind. Bei
der SPD sind es die unterschiedlichen Flügel, bei der CDU die
unterschiedlichen Vereinigungen. Die großen Parteien sind also längst
nicht mehr so einheitlich, wie sie es früher waren.

Das heißt, es wird kein Zurück mehr geben?
Lösche: Ich glaube, dass es in den nächsten Jahren eher eine weitere
Ausdifferenzierung geben wird als eine Rückkehr zu den großen
Volksparteien.

Politik scheint -- wie die Wirtschaftskrise belegt -- nur noch auf
Ereignisse zu reagieren statt zu gestalten. War die Agenda 2010 der
letzte große Politikentwurf?

Lösche: Ich würde die Agenda 2010 nicht als großen Politikentwurf
bezeichnen, sondern eher als notwendige Reaktion auf bestimmte
soziale und ökonomische Entwicklungen. Zu einem großen Politikentwurf
würde gehören, dass man aus der Gegenwart heraus über Alternativen
zum heutigen gesellschaftlichen Status quo nicht nur nachdenkt,
sondern Konzepte entwickelt, wie man die Gesellschaft humanisieren,
demokratisieren, vermenschlichen kann. Genau das fehlt heute bei
allen Parteien.

Wäre solch ein Politikentwurf die Chance zur Rückkehr einer großen
Partei?
Lösche: Es käme darauf an, was inhaltlich vertreten wird und ob
konkurrierende Parteien nicht das Thema schnell übernehmen und
kolonisieren. Beim Thema Ökologie haben wir das bei den Grünen
erlebt. Heute gibt es kein Parteiprogramm mehr ohne einen Abschnitt
Ökologie.

Welches Ergebnis erwarten Sie bei der Bundestagswahl?

Lösche: Ich gehe davon aus, dass wir am Abend des 27. September
relativ komplizierte Verhältnisse haben werden. Das Interview führte
Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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