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Druckchemikalien in Kartonsäften: Seehofer schützte Getränkeindustrie vor Verbrauchern

Geschrieben am 22-09-2009

Berlin (ots) - Nach drei Jahren und fünf Gerichtsurteilen gibt
CSU-geführtes Verbraucherschutzministerium endlich ungeschwärzte
Untersuchungsergebnisse über die Kontamination von Lebensmitteln mit
der Druckchemikalie ITX an Deutsche Umwelthilfe - Milchgetränke und
Fruchtsäfte waren bis zum 12-fachen des Unbedenklichkeitswertes
belastet - Verbraucherinformationsgesetz rechtswidrig zur
Informationsblockade eingesetzt - mit Druckchemikalien kontaminierte
Kartongetränke wurden zum Schutz der Industrie systematisch durch die
Kehlen der Verbraucher entsorgt - Kartonhersteller Tetra Pak und
Elopak verweigern Auskunft über aktuell verwendete Druckchemikalien

Mehr als drei Jahre verweigerten der frühere
Verbraucherschutzminister Horst Seehofer und zuletzt auch seine
Amtsnachfolgerin Ilse Aigner (beide CSU) verbissen die Einsicht in
bzw. die Herausgabe von Akten über die 2006 von der Deutschen
Umwelthilfe e.V. (DUH) aufgedeckte Kontamination von
Getränkekartonsäften mit der Druckchemikalie Isopropylthioxanthon
(ITX). Die DUH hatte die Herausgabe zunächst auf Basis des
Informationsfreiheitsgesetzes, später auf Basis des 2007
verabschiedeten und am 1. Mai 2008 in Kraft getretenen
Ver¬brau¬cherinformationsgesetzes (VIG) gefordert. Seehofer hatte das
VIG bei der Verabschiedung als "Durchbruch zu mehr Information und
Markttransparenz" gefeiert.

Trotz einer Serie von fünf Gerichtsurteilen, bis hin zur
höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, die
allesamt die Rechtswidrigkeit der Auskunftsverweigerung durch die
Bundesregierung feststellten, schützte das Ministerium mit seiner
Informationsblockade die für den Lebensmittelskandal verantwortliche
Industrie - zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher - und
führte damit nebenbei das neue Verbraucherinformationsgesetz (VIG) ad
absurdum. Das Gesetz sollte es Verbraucherinnen und Verbrauchern
erstmals ermöglichen, einen bundesweit einheitlichen und besseren
Zugang zu verbraucherrelevanten Behördeninformationen zu erhalten.
Den Behörden vorliegende Informationen müssen danach innerhalb von
vier, in Sonderfällen innerhalb von acht Wochen zur Verfügung
gestellt werden. Bei der ITX-Kontamination dauerte es knapp vier
Jahre oder 190 Wochen, bis das Ministerium ungeschwärzte
Untersuchungsergebnisse offen legte.

"Die gerichtlich angeordnete Offenlegung der Akten zum ITX-Skandal
zeigen eine erschreckende Kumpanei des CSU-geführten
Verbraucherschutzministeriums mit der Industrie. Der heutige
bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat als
Verbraucherschutzminister systematisch eigenes Recht gebrochen und
den Bürgern zustehende Informationen über kontaminierte
Kartongetränke verweigert", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen
Resch. Die nun vorliegenden Analysedaten aus den Jahren 2005 und
2006 seien jedoch für die Beurteilung der Lebensmittelqualität
nutzlos, da die entsprechenden Getränke eine Haltbarkeit von drei bis
zwölf Monaten hatten. Seehofer habe ganze Arbeit geleistet und das
Verbraucherinformationsgesetz dazu missbraucht, die betroffene
Wirtschaft vor den Verbrauchern zu schützen.

Der Berliner Anwalt Remo Klinger, der die DUH in den langwierigen
Verfahren vertreten hatte, stellte nach der jahrelangen
Auseinandersetzung fest: "Das Ministerium wird lernen müssen, dass
die heute existierenden Informationsrechte genuine Bürgerrechte sind.
Wenn sich selbst das Verbraucherschutzministerium über das
Verbraucherinformationsgesetz hinweg setzen wollte, ist dies ein
verheerendes Signal für den Verbraucherschutz in Deutschland."

Knapp vier Jahre nachdem die ersten ITX-Belastungen von
Kartonlebensmittel bekannt wurden und nach mehr als drei Jahren
juristischer Auseinandersetzungen mit dem CSU-geführten Ministerium
hat die DUH nun erstmalig Einsicht in ungeschwärzte Informationen zur
Belastung von Getränkekartonprodukten mit der Druckchemikalie ITX
erhalten. Die Unterlagen belegen, was zu befürchten war: Den
Verantwortlichen lagen bereits seit November 2005 Informationen über
die Chemikalienbelastungen von Getränkekartonprodukten vor. Danach
reichte die wissenschaftliche Datenlage damals keineswegs für
Unbedenklichkeitserklärungen, hinsichtlich möglicher gesundheitlicher
Folgen von ITX beim Menschen. Nach Einschätzung des Bundesinstituts
für Risikobewertung (BfR) konnte von einer Unbedenklichkeit lediglich
bei Belastungen von weniger als 50 Mikrogramm je Kilogramm
ausgegangen werden. In von der DUH veranlassten Analysen wurden
jedoch Werte in Lebensmitteln gemessen, die mit bis zu 405 Mikrogramm
je Kilogramm den "Unbedenklichkeitswert" um ein Vielfaches
überschritten, die staatlichen Untersuchungsstellen stellten mit 600
Mikrogramm sogar eine bis zu 12-fache Überschreitung des
Unbedenklichkeitswertes fest.

Während diese Sachlage, etwa in Italien dazu führte, dass
ITX-belastete Getränkekartons zum Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher binnen Stunden flächendeckend aus den Regalen genommen
und vernichtet wurden, einigte sich das Seehofer-Ministerium in
nichtöffentlicher Abstimmung mit der verantwortlichen Wirtschaft
darauf, den Chemiecocktail durch die Kehlen der Verbraucher zu
entsorgen. Erst nachdem die DUH in eigenen Untersuchungen ab Januar
2006 hohe ITX-Werte feststellte, gab das Ministerium zu, schon seit
Monaten von den Belastungen zu wissen.

"Das Verbraucherschutzministerium verdient seinen Namen nicht,
wenn es den Interessen der Industrie mehr Gewicht beimisst als seinen
eigentlichen Schutzbefohlenen. Faktisch verständigten sich Industrie
und Politik darauf, mit der Gesundheit der Verbraucherinnen und
Verbraucher Roulette zu spielen", so Resch.

Die von der DUH im Jahr 2006 festgestellten ITX-Belastungen waren
Ergebnis des Druckverfahrens für Getränkekartons insbesondere der
beiden Hersteller Tetra Pak und Elopak, bei dem es zu direktem
Kontakt zwischen der Innenoberfläche und der bedruckten Außenseite
der Getränkekartons kommt. Die Verpackungsindustrie zog ITX
schließlich und teilweise mit mehrjähriger Verspätung aus dem Verkehr
und verwendet seitdem andere Chemikalien zum Bedrucken der
Getränkekartons. Dabei handelt es sich jedoch erneut um Chemikalien,
für die keine ausreichenden toxikologischen Daten vorliegen und die
für den Kontakt mit Lebensmitteln nicht geeignet sind. Ausweislich
interner Akten des Verbraucherschutzministeriums wird auch dort die
Rechtskonformität einer solchen Praxis bezweifelt. Auf mehrfache
Nachfragen der DUH bei Tetra Pak und Elopak verweigerten diese
Unternehmen eine Auskunft über die derzeit zum Einsatz kommenden
ITX-Ersatzchemikalien.

"Da die Industrie ihre Druck- und Produktionsverfahren von
Getränkekartons nicht grundlegend verändert hat, kann der Abrieb von
Chemikalien aus den Druckfarben bzw. der Übergang durch den Karton
selbst bis zum heutigen Tag nicht ausgeschlossen werden", warnte
Maria Elander, die Leiterin der Kreislaufwirtschaft bei der DUH. Nach
Auskunft des Verbraucherschutzministeriums wird offensichtlich eine
Vielzahl neuer so genannter Photoinitiatoren aktuell als
Druckchemikalien in der Verpackungsindustrie eingesetzt. Über deren
Gesundheitsrelevanz gibt es jedoch nur in Ausnahmefällen Kenntnisse.
So hat sich das dem Aigner-Ministerium unterstellte Bundesinstitut
für Risikobewertung ungewöhnlich deutlich gegen diese Ersatzstoffe
ausgesprochen. Zitat aus einer Stellungnahme des BfR vom 2. April
2008: "Den Ersatz von ITX durch andere Photoinitiatoren, für die
derzeit keine oder keine ausreichenden toxikologischen Daten zur
Verfügung stehen, hält das BfR für nicht sachgerecht".

Es sei "geradezu zynisch, wenn Mitarbeiter des
Verbraucherschutzministeriums den Einsatz von toxikologisch nicht
bewerteten Alternativen zu ITX in der Praxis stillschweigend dulden",
kritisierte Resch. Zum Schutz der Gesundheit aller Verbraucherinnen
und Verbraucher müsse sichergestellt werden, dass nur noch der
Einsatz von chemischen Substanzen zulässig ist, die eindeutig und in
Langzeituntersuchungen bestätigt als unbedenklich eingestuft werden.

Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2

Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel: 0171 3649170, Fax: 030
2400867-19, resch@duh.de

Dr. Remo Klinger, Rechtsanwaltskanzlei Geulen & Klinger,
Schaperstraße 15, 10719 Berlin, Tel. 030 88472-80, 0171 2435458,
klinger@geulen.com

Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, 0171 5660577,
rosenkranz@duh.de

Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe
e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-41, 0160
5337376, elander@duh.de


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