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Köhler: "Unsere Lebenswelt ist größer als die Welt der Waren"

Geschrieben am 25-10-2009

Augsburg (ots) -

Bundespräsident überreichte heute in Augsburg Deutschen Umweltpreis
der DBU - 1.200 Gäste

Der Deutsche Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU,
Osnabrück) ist zum 17. Male vergeben. Der mit 500.000 Euro höchst
dotierte Umweltpreis Europas wird 2009 gedrittelt zwischen dem
Unternehmer-Duo Petra Bültmann-Steffin (39, Neuenrade) und Dr.
Carsten Bührer (39, Rheinbach), dem Wissenschaftler Prof. Dr. Bo
Barker Jørgensen (63, Bremen) sowie der Ehrenvorsitzenden des Bundes
für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Dr. Angelika Zahrnt
(65, Neckargemünd). Anlässlich der Preisverleihung in der
Kongresshalle Augsburg betonte heute Bundespräsident Horst Köhler,
die Preisträger 2009 stünden beispielhaft für drei Schlüsselbereiche,
auf die es in den nächsten Jahrzehnten entscheidend ankomme:
Wissenschaft, Technologie und gesellschaftliche Veränderung. Köhler:
"Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter im Zeichen von
Ökologie und Nachhaltigkeit. Wir stellen heute die Weichen für unser
Wohlergehen von morgen. Keine Nation kann mehr auf Kosten anderer ihr
Glück machen, alle müssen auf das Gleichgewicht der Welt achten. Ich
hoffe sehr, dass sich die Verhandlungsdelegationen, die Anfang
Dezember in Kopenhagen zur Weltklimakonferenz zusammentreffen, dieser
Verantwortung bewusst sind."

Köhler wies vor 1.200 Gästen darauf hin, dass der Deutsche
Umweltpreis, der zu den "ganz wichtigen" Preisen gehöre, ein
Schlaglicht darauf werfe, dass alle Menschen in der Verantwortung
stünden, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten: "Und die
Preisträger machen uns immer wieder zuversichtlich, dass wir diese
Herausforderung bestehen können." Sie zeigten wie Petra
Bültmann-Steffin und Dr. Carsten Bührer, welche Effizienzsprünge
möglich seien, wenn technisches Können und unternehmerischer Mut
zusammen kämen. Sie sorgten durch wegweisende Forschungsarbeiten wie
die von Prof. Jørgensen für ein besseres Verständnis des Einflusses
der Weltmeere auf das Klimageschehen. Und sie bewiesen wie Angelika
Zahrnt, dass man "mit unermüdlichem Engagement, intellektueller
Brillanz und persönlicher Überzeugungskraft die Themen Umweltschutz
und Nachhaltigkeit aus den Expertenzirkeln heraus in die Mitte der
Gesellschaft und an die Spitze der politischen Agenda bringt".

Köhler betonte in Augsburg die Notwendigkeit, einen neuen
Antriebsstoff für die Volkswirtschaften jenseits des Öls zu suchen
und sich erneuerbaren Energien und Ressourceneffizienz zuzuwenden.
Dieser Wandel sei "ökologisch nötig und wirtschaftlich chancenreich".
Dabei gehe es nicht um das Drehen an einigen kleinen Stellschrauben,
und beliebig viel Zeit sei auch nicht vorhanden. Köhler: "Es geht um
nichts weniger als um die Transformation in eine 'postkarbone
Gesellschaft'. Das wird für uns alle Veränderung und Umstellung
bedeuten müssen." Aber diese Transformation werde zu einer neuen,
einer besseren Lebensqualität führen.

Schon mit der heute verfügbaren Technik lasse sich der
Energieverbrauch bis 2050 halbieren, zitierte das Staatsoberhaupt
Experten: wenn es mehr Passivhäuser gäbe, die keine Heizung im alten
Sinne mehr brauchten; wenn mehr Elektrogeräte der höchsten
Energiesparklasse benutzt würden, Stand-by-Schaltungen Vergangenheit
wären und Glühbirnen mehr leuchteten als heizten. Köhler prophezeite
im Zeitverlauf einer Generation nicht nur eine Revolution der
Material- und Energiewirtschaft, sondern auch das Entstehen ganz
neuer Mobilitätskonzepte in Stadt und Land.

Eine klimafreundliche Zukunft sei machbar - und Deutschland habe
alle Voraussetzungen, sie für sich zu gewinnen, weil es das Potenzial
für eine ökologische industrielle Revolution habe. Mit den Regeln der
Marktwirtschaft müsse in den Preis einer jeden Sache und
Dienstleistung eingerechnet werden, was sie die Allgemeinheit koste -
an sauberer Luft, an endlichen Rohstoffen, an Abfall, Lärm und Staus.
Dazu müsse der Emissionshandel fortentwickelt, müssten
umweltschädliche Subventionen abgebaut werden, sei eine Steuerpolitik
notwendig, die mehr ökologische Anreize setze.

Aber es bedürfe nicht nur eines technologischen Wandels. Es sei
auch Zeit, darüber nachzudenken, ob ein schlichtes "immer
mehr"-Denken die Zukunft wirklich gewinnen könne. Zwar wolle er nicht
den "Verzichtsaposteln, Technikfeinden und Schwarzsehern" das Wort
reden - und in dieser Ecke habe Umweltpolitik auch nichts verloren.
Aber auch unser heutiger Lebensstil fordere von uns ja schon jede
Menge Verzicht: auf belebte und lebenswerte Innenstädte, für die wir
Einkaufszentren auf ehemals grünen Wiesen eintauschten; auf Ruhe für
die Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnten; auf kostbare Zeit
mit Familien und Freunden, die Pendler verlören, während sie mit
Tausenden anderen im Stau stünden - gemeinsam allein. Köhler: "Wenn
wir es begriffen, würden wir erkennen, dass zum Beispiel ein
komfortabler, preiswerter und flächendeckender öffentlicher Verkehr
mehr Lebensqualität bedeutet, mit weniger Lärm und
Landschaftsverbrauch und mit weniger Zeitverschwendung im Auto, das
eben nicht mobil ist."

Doch der Wandel sei bereits im Gange, machte Köhler Mut. Es sei
"cool", mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, nicht mit dem
Geländewagen. Und das Energiesparhaus werde zum neuen Statussymbol.
Viele kleine und große Projekte in Kindergärten, Schulen und
Universitäten, Kirchengemeinden, Umwelt- und Naturschutzgruppen,
Gewerkschaften und Unternehmen - nicht wenige von der DBU unterstützt
- trieben den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Kultur der
Nachhaltigkeit voran. Köhler: "Noch sind sie eine Minderheit. Doch
schon manche Minderheit wurde zur Mehrheit und hat Geschichte
gemacht." Die Politik müsse den Kulturwandel durch eine Bildung
befördern, die einen nachhaltigen Lebensstil vermittele, durch mehr
Transparenz für Verbraucher und eine größere Wertschätzung
bürgerschaftlichen Engagements. Das Sozialprodukt allein sei nicht
das Maß für eine gute Gesellschaft, "denn unsere Lebenswelt ist
größer als die Welt der Waren, der Mensch mehr als nur Konsument oder
Produzent". An der Gestaltung einer neueren, besseren Welt könne
jeder mitwirken. Köhler: "Wir haben unsere Zukunft zum großen, zum
größten Teil selbst in der Hand. Nutzen wir diese Chance - in
Verantwortung vor der Schöpfung und zum Wohle unserer Kinder und
Enkel."

Prof. Dr. Klaus Töpfer - Mitglied der Jury, DBU-Umweltpreisträger
und ehemaliger Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen -
betonte in seiner per Video eingespielten Laudatio auf Dr. Angelika
Zahrnt, sie sei eine "Vordenkerin und Vorkämpferin", die nicht den
schnellen Applaus suche. Sie analysiere genau, bevor sie das als
richtig Erkannte mit großer Beharrlichkeit umsetze. Zahrnt fühle sich
der Zukunft verpflichtet und habe sich mit der Zukunftsfähigkeit
Deutschlands intensiv auseinander gesetzt. Sie ernte Respekt, wo sie
sich in ihrer Bescheidenheit, aber großen Persönlichkeit einbringe.
Töpfer: "Ein Glück, eine solche Frau zu kennen, mit ihr zusammen zu
arbeiten und zu wissen, dass wir so die Kälte nur
wirtschaftspolitischer Ausrichtung durch die Aufnahme von
Nachdenklichkeit und Nachhaltigkeit menschlicher machen können."
Töpfer gratulierte Zahrnt zur Auszeichnung "in der guten Hoffnung,
dass wir vielleicht doch noch zu einer richtigen ökologischen
Steuerreform kommen."

Zum Preisträger-Duo Bültmann-Steffin/Bührer führte ebenfalls per
Video Dr. Wolfgang Plischke - Jury-Mitglied und Vorstand der Bayer AG
- aus, dass in der weiterverarbeitenden Metall-Industrie enorme
Mengen an Strom benötigt würden, circa drei Prozent des weltweiten
Verbrauchs. Das Unternehmer-Duo habe einen Spezialheizer auf der
Basis der Hochtemperatur-Supraleitung entwickelt, mit dem man die
Hälfte dieser Energie einsparen könne - das entspreche in Deutschland
der Produktion von vier Steinkohlekraftwerken. Mit ihrem
unternehmerischen Mut hätten Bültmann-Steffin/Bührer gezeigt, "dass
gerade kleine und mittelständische Unternehmen mit Innovationen zum
Klima- und Umweltschutz beitragen können".

Und Prof. Dr. Michael Schmidt, Jurymitglied und Lehrstuhlinhaber
an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus,
würdigte per Video die Forschungsergebnisse Professor Jørgensens als
"für die Klimaforschung von großer Bedeutung". Im globalen
Kohlenstoffkreislauf spielten die Meere als Senke, als Speicher für
Kohlenstoff die größte Rolle. Kohlenstoff werde am Meeresboden als
Methan abgelagert. Im Zuge der globalen Erderwärmung komme es aber
nicht nur zur Erwärmung der Atmosphäre, sondern auch küstennaher oder
flacher Gewässer wie zum Beispiel der Ostsee. Die
Forschungsergebnisse Professor Jørgensens zeigten, dass durch
geochemische und mikrobielle Prozesse das Methan am Meeresboden dann
wieder gelöst werde und somit in die Atmosphäre aufsteigen könne.
Schmidt: "Die Forschungsergebnisse zeigen in beeindruckender Weise,
dass wir die Klimadiskussion weiter fassen müssen. Indirekte
Wirkungen der globalen Erwärmung wie die mögliche Freisetzung von
Methan aus dem Meeresboden blieben bisher unberücksichtigt."

Angelika Zahrnt betonte im Gespräch mit Moderator Stefan
Schulze-Hausmann, die Probleme der Armut und Umweltzerstörung seien
nur gleichzeitig zu lösen. Das Thema der Nachhaltigkeit sei nämlich
ein Gerechtigkeitsproblem, doch auf dem Weg der Nachhaltigkeit seien
"wir nicht schnell genug vorangekommen". Notwendig sei ein
Kurswechsel, weil von einem stetigen Wachstum nicht die Lösung aller
Probleme erwartet werden dürfe. Notwendig bleibe eine ökologische
Steuerreform, die - so hoffe sie - in die aktuellen
Koalitionsverhandlungen noch aufgenommen werde.

Bültmann-Steffin/Bührer - mit je 39 Jahren jüngste
Umweltpreisträger - wiesen darauf hin, dass ihnen die unkomplizierte
Förderung der DBU bei ihrer Arbeit geholfen habe. Dabei bringe ihre
Entwicklung neben ökologischen auch ökonomische Vorteile mit sich.
Denn auch Produktivitätssteigerungen seien die Folge. Jetzt gehe es
darum, mit den Induktionsheizern unternehmerisch zu wachsen und
gegebenenfalls auch neues Potenzial zu heben, das mit Blick auf diese
Technik auf anderen Feldern wie etwa in der Generator- oder
Wasserkrafttechnik vermutet werde.

Und Jørgensen betonte die Notwendigkeit, die im Meer ablaufenden
Prozesse in ihrer großen und lange Zeit unterschätzten Komplexität
besser zu verstehen, um mit Blick auf den Klimaschutz realistische
Prognosen möglich zu machen und darauf aufbauend politische
Entscheidungen zu treffen.

Fotos nach IPTC-Standard zur kostenfreien Veröffentlichung unter
www.dbu.de

Originaltext: Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6908
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_6908.rss2

Pressekontakt:
Ansprechpartner
Franz-Georg Elpers
- Pressesprecher -
Stephanie Kaßing
Isabel Krüger
Anneliese Grabara


Kontakt DBU:
An der Bornau 2
49090 Osnabrück
Telefon: 0541|9633521
Telefax: 0541|9633198
presse@dbu.de
www.dbu.de


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