Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Literaturnobelpreis:
Geschrieben am 10-12-2009 |
Bielefeld (ots) - Herta Müller schreibt in ihrem Schlüsselwerk »Atemschaukel« von Zement, gefrorenen Kartoffelschalen und einem Hungerengel, der eiskalt über gestanzten Sätze geistert. Die gestern geehrte Literaturnobelpreisträgerin rückt schier Unmögliches in den Blick. Ausgerechnet eine Angehörige der Volksgruppe der Banater Schwaben, Tochter eines ehemaligen SS-Manns und als Rumäniendeutsche nach 1945 im falschen Teil Europas geboren, thematisiert Stalins massenmordende Lagerwelt. Das schaffte in der Nobelpreisliga erst einer: Alexander Solschenizyn (»Archipel Gulag«). Dank der Entscheidung des Nobelpreis-Komitees wird erstmals deutsches Leid nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf die literarische Weltbühne gehoben. Außergewöhnlich. Denn: Eine Vertriebene, eine nach ihrer Flucht 1987 in Berlin nicht wohl gelittene, erst 1989 in Paderborn mit ihrer ersten Gastdozentur aufgenommene Nischenschreiberin hätte hierzulande kaum die Beachtung der vornehmlich linksliberalen Intelligenz gefunden. Normalerweise droht die Abschiebung ins rechte Eck Autoren, die mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (2004) und dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis (2009) von Erika Steinbachs Zentrum gegen Vertreibung dekoriert werden. Nicht so im Fall Herta Müller. Die brutal schlicht und zugleich wunderbar freidenkerisch formulierende Schriftstellerin erzählt Fakten, denen sich keiner entziehen kann. Zwangsarbeit im grausamen Detail wird bei ihr ebenso Poesie wie ihre Hauptfigur in der »Atemschaukel«, ein junger Deutschrumäne, der zunächst neugierig, fast voll freudiger Erwartung in den sowjetischen Gulag zieht. Wie in ihren Romanen gibt Müller dem Paradoxen in der Tagespolitik Raum. Ohne falsche Rücksicht nennt sie die chinesische Führung eine Diktatur und spottet über westliche Politiker, die vor Peking katzbuckeln. Der rumänische Geheimdienst hat Müller lange zugesetzt, dieser Tage legte ihr damaliger Beschatter sogar noch ungestraft nach (»hat eine Psychose«). Deshalb kann Müller gar nicht zwischen Literatur und Politik trennen: »Mir ist am wichtigsten, dass ein Thema diesen Preis bekommen hat, und das Thema ist die Diktatur und die systematische und planmäßige Zerstörung von Menschen«. Herta Müller steht für den vernachlässigten Teil deutschen Kulturschaffens. Wer die Autorin etwa im Rummel der Frankfurter Buchmesse erlebt hat, weiß um die Zerbrechlichkeit und mediale Distanz dieser zierlichen, aber schriftgewaltigen Person. Nach Nobelpreisehr für Heinrich Böll (1972) und Günter Grass (1999) schließt sich endlich der Kreis großer deutscher Gegenwartsliteratur. Respekt und Glückwunsch.
Originaltext: Westfalen-Blatt Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2
Pressekontakt: Westfalen-Blatt Nachrichtenleiter Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
241899
weitere Artikel:
- WAZ: Die Stimmen der Opfer. Kommentar von Jens Dirksen Essen (ots) - Weder Deutschland noch Rumänien haben den Nobelpreis bekommen, sondern ihre Bücher, sagt Herta Müller. Geehrt wurde in Stockholm eine Literatur, die zum Überlebensmittel taugte. Ins Schreiben, im Schreiben rettete sich ein Ich, das vielfach bedroht war: Von der stickigen Enge der Siebenbürgersachsen-Welt zunächst, und dann um so viel mehr vom Geheimdienst-Terror der Securitate. Schreiben, um nicht verrückt zu werden, irre an sich und der Welt. So wurden ihre Bücher zu Zeugen jener Opfer, deren Nationalität schon keine Rolle mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Ausstellung / Manieren Osnabrück (ots) - Protest gegen den Schlendrian Das gute Benehmen ist immer in der Krise, der Anstand stets gefährdet. Darin sind sich alle Klassiker der einschlägigen Literatur einig. Knigge und seine Kollegen verkünden nicht einfach nur Regelwerke, sondern analysieren Mängel. Sozialverhalten kommt ihnen stets als defizitär in den Blick. Die Verhaltensregel bleibt - allzu selten eingelöst - Wunschprojektion. Benimmbücher sind folglich als Kritik an ihrer jeweiligen Zeit neu zu entdecken und gegen den Strich zu lesen. Erst die inkorrekte mehr...
- Expedition Humboldt Ein deutsches Genie in Lateinamerika / Zweiteilige SWR-Reisereportage am 25. und 26. Dezember im Ersten Baden-Baden (ots) - Das Erste zeigt am ersten und zweiten Weihnachtstag 2009, jeweils um 19.15 Uhr, die zweiteilige SWR-Reisereportage "Expedition Humboldt - Ein deutsches Genie in Lateinamerika". Im SWR Fernsehen sind beide Teile der Reisereportage am 1. Januar 2010 ab 17.15 Uhr zu sehen. Alexander von Humboldt war ein Superstar seiner Zeit: Forschungsreisender, Universalgelehrter, vernetzter Denker, Technikfreak. In Amerika ist er berühmt wie sonst nur Kolumbus. Am 16. Juli 1799 begann er in Cumaná, Venezuela, eine fünfjährige mehr...
- WAZ: Weinland Deutschland? - Hoffnung flaschenweise. Leitartikel von Lars von der Gönna Essen (ots) - Es gab Zeiten, da war man in der Welt bereit, für einen Rheingau-Riesling das Gleiche zu zahlen wie für einen "Château Lafite". Lang ist's her. Dazwischen lag eine grausige Durststrecke für alle Beteiligten. Ihre extremen Pole waren Weinskandale, in denen sich nicht weniger spiegelte als eine verfehlte Politik absurder Subventionspirouetten und das rufschädigende Hinterherlaufen der Winzer nach dem, was der Markt "Sweet & Cheap" (süß und billig) hieß. Dass ein guter Teil deutscher Winzer all das hinter sich gelassen hat, mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Hamburger Kunsthalle Osnabrück (ots) - Vertrauen verspielt Wo ist der hanseatische Klarblick geblieben? Der Vorschlag, aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle mehrere Bilder Gerhard Richters zu verkaufen, grenzt nicht nur an Verrücktheit. Er ist verrückt. Besonders zynisch: Werke, die jeder Museumsdirektor gern in seiner Sammlung sehen würde, werden nun schnöde nach Marktkonjunktur taxiert. Solche Usancen gehören auf den Vieh-, pardon, Fischmarkt, aber nicht in eine Museumsstiftung. Der absurde Vorstoß belegt, wie sehr der Respekt vor musealen Beständen mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Alles rund um die Kultur
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
Pinocchio erreicht Gold in Deutschland mit Top-3-Hit "Klick Klack" - "Mein Album!" erscheint am heutigen Tag - Neue Single "Pinocchio in Moskau (Kalinka)" folgt am 17. März
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|