Landeszeitung Lüneburg: "Es ist bequem, einseitig zu sein" -- Nahost-Experte Henning Niederhoff über die Rolle Deutschlands im Konflikt um das Heilige Land
Geschrieben am 07-01-2010 |
Lüneburg (ots) - "Wer im Heiligen Land nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist" -- diesen Satz des früheren israelischen Premiermi"nis"ters Ben Gurion zitiert auch der Nahost-Experte Henning Niederhoff regelmäßig, wenn er über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern spricht und schreibt. Weil dieser Konflikt kaum lösbar ist, wie Niederhoff meint, müsse man sich bemühen, "den Status quo lebbar" zu machen. Er rät auf beiden Seiten zur Realpolitik.
Vordergründig geht es zwischen Israelis und Palästinensern um Land. Aber was ist der eigentliche Kern des Nahost-Konflikts?
Henning Niederhoff: Ja, es geht in erster Linie um Land, aber es gibt eine tiefere Ebene. Der Streit um dieses Land hat einen religiösen, historischen und politischen Hintergrund. Und zwar auf beiden Seiten. Für die muslimische Welt ist dies Heiliges Land. Und für die Juden ist es auch Heiliges Land. Beide Seiten haben eine tiefe emotionale Bindung an dieses Land. Das Problem ist aber, dass sie die Bindung der anderen Seite negieren oder nicht sehen wollen. Wenn zwei denselben Acker beanspruchen, haben sie ein Problem.
Üblicherweise kommt es dann zu einem Vergleich und man teilt sich den Acker...
Niederhoff: Beide Positionen stehen kompromisslos nebeneinander.
Es gibt also keine Lösung?
Niederhoff: Ich fürchte ja, denn man muss die Spannungen sowohl innerhalb der israelischen als auch in der palästinensischen Gesellschaft sehen. Im Gazastreifen gibt es ja bereits einen Bürgerkrieg unter den Palästinensern. Und auch zwischen Israelis können gewalttätige Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden. Der frühere israelische Premier Jitzchak Rabin ist nicht von einem Palästinenser erschossen worden, sondern von einem Israeli -- weil Rabin bereit war, das Heilige Land zu teilen, den Palästinensern etwas abzugeben. In Israel gibt es viele grundsätzliche Dinge zu klären, wie die Frage, welche Teile des biblischen Landes innerhalb der künftigen Grenzen des heutigen Staates Israel liegen sollen und zu welchem Preis dies erreichbar ist.
Aber Israelis und Palästinenser glauben an eine Lösung, sie kämpfen dafür...
Niederhoff: Viele Palästinenser träumen immer noch davon, dass die Juden wieder gehen. Die Kreuzfahrer sind 250 Jahre da gewesen, den israelischen Staat gibt erst seit 60 Jahren. Deshalb haben Palästinenser die Hoffnung, dass auch die Juden wieder gehen werden. Viele Israelis träumen dagegen davon, dass die Palästinenser gehen -- bis jenseits des Jordangrabens, also außerhalb des Gebietes, um das es in diesem Konflikt geht. Aber keiner wird gehen. Die Menschen dort denken in Generationen und haben deshalb alle einen langen Atem. Sie denken völkisch -- so wie wir nicht mehr denken wollen. Das Schlimme ist, dass sich Israelis und Palästinenser seit der zweiten Intifada, also seit dem Jahr 2000, nicht mehr begegnen und sehen. Palästinenser der Westbank und des Gaza-Streifens können nicht mehr nach Jerusalem und nach Israel reisen und Israelis nicht in die Westbank und den Gaza-Streifen. Es gibt in Israel eine neue Autobahn parallel zur Grünen Linie, der Waffenstillstandslinie von 1948. Unmittelbar neben dieser Autobahn steht die Mauer. Auf ihrer anderen Seite liegt die palästinensische Stadt Kalkilia. Wenn man auf der Autobahn fährt, kann man die Funktion der Trennmauer leicht übersehen, denn hier sieht sie aus wie eine normale Schallschutzmauer, hübsch gemacht, halb verborgen durch aufgeschüttete Erde und mit Rosen bepflanzt. Weil die Israelis das Leid, das in der Westbank und im Gaza-Streifen herrscht und für das sie mitverantwortlich sind, nicht mehr sehen wollen oder können, blenden viele es aus. Während Israelis sich immer mehr nach Europa und Amerika ausrichten, verbauen diese Mauern und Zäune den Palästinensern diese Blickrichtung, im tatsächlichen, wie im übertragenen Sinne, sowohl nach Israel, als auch in die westliche Welt. Und deshalb schauen sie immer häufiger in Richtung Osten. Und dort liegt der große Block der muslimischen Länder, die nicht Vorbild sind für Demokratie, Liberalismus, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte. Mauern in der Landschaft mutieren zu Mauern in den Köpfen. Eine gefährliche Entwicklung für alle.
Sehen Sie einen Nachfolger für den gegenwärtigen Präsidenten der palästinensischen Autonomie, Mahmud Abbas, der die Palästinenser einen und eine Annäherung an Israel erreichen könnte?
Niederhoff: Es ist jemand erkennbar, nämlich der Fatah-Führer Marwan Barghuthi. Allerdings sitzt er in Israel im Gefängnis, weil er als Haupträdelsführer der zweiten Intifada, des zweiten palästinensischen Aufstands gegen die israelische Besatzung, gesehen wird. Aber dann müsste die israelische Regierung über ihren Schatten springen, denn für sie ist Barghuthi kein Freiheitskämpfer, sondern Terrorist.
Welche Rolle kann Deutschland mit seiner geschichtlichen Last überhaupt im Nahost-Konflikt spielen?
Niederhoff: Wir Deutschen sind als Ratgeber wenig geeignet. Es ist bequem, einseitig zu sein. Einseitig pro Israel oder einseitig pro Palästina. Aber in diesem Fall dürfen wir es nicht sein. Manchmal ist es hilfreich, von einem Freund zu einem Perspektivwechsel veranlasst zu werden. Bloß dann muss der Freund tatsächlich ein voll akzeptierter Freund sein. Aber sind wir für Israelis tatsächlich der Freund, von dem man auch unangenehme Wahrheiten erträgt? Ich habe da meine Zweifel. Unsere Vergangenheit wiegt für viele Israelis, ausgesprochen oder unausgesprochen, weiterhin schwer. Und dementsprechend sagen die Palästinenser: Ihr könnt kein ehrlicher Makler sein, weil ihr ein schlechtes Gewissen den Juden gegenüber habt. Gleichwohl ist der deutsche Geheimdienst beim Gefangenenaustausch ein von allen Seiten -- von Israel, Hamas und Ägypten -- akzeptierter Vermittler. Eine wichtige Rolle müsste eigentlich Europa spielen. Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass es in Zukunft eine stringente europäische Außenpolitik geben wird. Aber man sollte sich nicht täuschen: Auch heute spricht die deutsche Politik alle kontroversen Themen gegenüber der israelischen Regierung offen an. Aber mehr hinter verschlossenen Türen und weniger öffentlich. Dies halte ich für klug, obwohl in der deutschen Öffentlichkeit von unserer Regierung nicht selten öffentliche Kritik Israel gegenüber gefordert wird. Wir in Deutschland sollten meines Erachtens genau abwägen, wie wir was zu diesen Themen in der Öffentlichkeit sagen. Gut gemeinte Ratschläge in der Öffentlichkeit ausgesprochen, bewirken erfahrungsgemäß oft das Gegenteil. Stellen Sie sich mal vor, da käme ein Politiker aus Tel Aviv oder Ramallah und würde uns in aller Öffentlichkeit die Prob"leme vorhalten, die es in Neukölln zwischen Deutschen und Türken gibt. Wenn er uns sagen würde, was wir alles falsch machen und öffentlich gute Ratschläge erteilen würde, würden wir ein solches Verhalten als unter Freunden angemessen halten? Wäre das respektvoll?
Was würden Sie vor diesem Hintergrund Guido Westerwelle mit auf den Weg geben?
Niederhoff: Dass man versuchen sollte, beiden Seiten den deutschen Begriff "Realpolitik" zu erläutern. Man kann ja träumen, aber man muss die Fakten nehmen, wie sie sind. Nicht alles ist lösbar. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass der Status quo lebbar ist. Israelis und Palästinenser haben Ver"lus"te erlitten. Realpolitik heißt in diesem Fall: Grenze ziehen, Verträge schließen und die Tatsachen anerkennen: Dass jedes der beiden Völker sich für die Zukunft nur auf einem Teil ihres Landes einrichten kann, wenn sie denn Frieden wollen. So wie es Willy Brandt mit den deutschen Ostgebieten getan hat. Dann kann man als Ostpreuße trotzdem sagen, im neuen Europa ohne Grenzen kann ich vielleicht wieder dorthin. Als Europäer. Unter polnischer Oberhoheit. Grenzen muss man in Europa nicht mehr verändern, weil die Grenzen weitgehend verschwunden sind. Was Deutschland im Nahen Osten tut, ist richtig. Wir pflegen enge Beziehungen zu Israel. Wir unterstützen die Palästinenser wirtschaftlich, die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) baut dort Kläranlagen und Straßen, die Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt die juristische Fakultät der palästinensischen Universität Birzeit. Wir helfen, dass eine funktionierende Zivilgesellschaft entsteht. Aber von draußen über den Konflikt im Detail reden und beiden Seiten gerecht werden, das können nur wenige.
Wer wäre das?
Niederhoff: Ich kenne nur wenige Politiker, die beide Seiten verstehen. Jeder hat seine eigene persönliche und biographische Annäherung an diese Region und ihre Menschen.
Ist die geheimdienstliche Vermittlung Deutschlands beim Austausch von Gefangenen auch ein Stück Realpolitik?
Niederhoff: Nein, hier passt dieser Begriff nicht ganz. Dahinter steckt der Anspruch der Israelis, jeden ihrer Soldaten, der in Gefangenschaft ist oder im Feindesland sein Leben gelassen hat, nach Hause zu bringen. Und dafür sind sie bereit, fast jeden Preis zu zahlen. Der zurzeit diskutierte Austausch von Gefangenen ist darüberhi"naus der mögliche Beginn, mit deutscher Vermittlung die Sprachlosigkeit der israelischen Regierung gegenüber der Hamas, die es seit Jahren -- politisch gewollt -- gibt, zu überwinden.
Sie raten also dazu, die Hamas zu integrieren statt zu isolieren?
Niederhoff: Das ist dieselbe Frage, die sich auch in Afghanis"tan stellt: Reden wir mit dem Feind oder reden wir nicht?
Bisher wird nicht geredet -- jedenfalls nicht öffentlich.
Niederhoff: So ist es. Ich tue mich schwer mit einem Rat. Ich kann nur auf die Erfahrungen mit dem Ostblock verweisen: Mit den Kommunisten zu reden, mit Ost-Berlin und mit Moskau, hat Veränderungen ausgelöst. Das ist erst einmal natürlich eine politische Aufwertung. Aber wenn ich gar nichts tue, komme ich nicht weiter. Dann braucht man wieder einen Dritten, der vermittelt.
Zum Beispiel US-Präsident Obama, der eine umfassende Friedenslösung angekündigt hat?
Niederhoff: Obamas Rede in Kairo hat große Hoffnungen geweckt, besonders in der muslimischen Welt. Aber jetzt merkt man, dass er sich in der Kleinteiligkeit der israelischen Politik verheddert. Washington wendet sich im Moment auch dagegen, dass Israelis im besetzten Ost-Jerusalem für sich neue Häuser bauen. Das haben die Vorgängerregierungen in Washington eher schweigend hingenommen. Zugleich wird über einen Stopp der fortschreitenden Besiedlung der Westbank durch Israel gesprochen. Jetzt hat Obama so viele Baustellen, dass er seine Forderungen zurückschrauben muss. Und damit hat er einen wesentlichen Prestigeverlust erlitten. Wenn ein amerikanischer Präsident zeigt, dass seine zentralen Positionen verhandelbar sind, dann ist er schwach geworden.
Die zweiten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen finden in diesem Monat in Berlin statt und der israelische Präsident Schimon Peres wird im Rahmen seiner Deutschland-Visite am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar im Deutschen Bundestag sprechen. Was sagt das über das deutsch-israelische Verhältnis aus?
Niederhoff: Beide Ereignisse sind schon etwas Besonderes. Die bilateralen Regierungskonsultationen zeigen die Normalität der deutsch-israelischen Beziehungen. Die gemeinsame Kabinettssitzung ist die Gegenwart, das politische Geschäft zwischen Kollegen auf gleicher Augenhöhe. Die Rede von Präsident Peres am Holocaust-Gedenktag vor dem Deutschen Bundestag zeigt dagegen die Nichtnormalität des deutsch-jüdischen Verhältnisses. Der israelische Präsident verkörpert am Holocaust-Gedenktag 2010 in Berlin den Staat Israel und das Leben und Überleben des jüdischen Volkes. Er verkörpert gleichzeitig aber auch die Vergangenheit, das Leid und den Tod unzähliger jüdischer Menschen und damit auch die Verstrickung Deutschlands im Holocaust.
Das Gespräch führte Klaus Bohlmann
Originaltext: Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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