Berliner Morgenpost: Es bleibt noch Zeit genug, den Fehlstart zu korrigieren
Geschrieben am 03-02-2010 |
Berlin (ots) - Die Wähler haben sich am 27. September 2009 für eine andere Koalition entschieden. Damit haben sie konsequenterweise die Erwartung auf einen Politikwechsel verbunden. Warum sonst wird eine Regierung abgewählt? Der schwarz-gelben Koalition jetzt vorzuwerfen, sie setze andere politische Schwerpunkte als die Vorgängerregierung, ist heuchlerisch. Wenn CDU, CSU und FDP also eine grundlegende Reform unseres überkomplizierten Steuersystems, den Umbau des in seiner Wirkungsweise zunehmend gefährdeten Gesundheitssystems oder die Stärkung einer die Gesellschaft tragenden Mittelschicht verwirklichen wollen, haben sie ein klares Mandat der Mehrheit der Deutschen dafür. Wer nach der Schonfrist von 100 Tagen, von der zwar traditionell immer geredet wird, an die sich aber kein politischer Gegner hält, eine erste Bilanz zieht, muss sich - der Kürze der Amtszeit wegen - fairerweise mehr an Stil und Auftreten und weniger an Inhalten orientieren. Aber schon dieses mehr vordergründige Urteil fällt ziemlich fatal aus. Groß ist die verbreitete Enttäuschung über diese - anders als im Fall große Koalition - bürgerlichen Wunschpartner. Bis auf ein Gesetz, das sie mit dem Wortungetüm "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" betitelte, hat diese Koalition ja noch nichts Konkretes auf den Weg gebracht. Sich aber bereits heftig darüber zerstritten, wie das eine und das andere Wahlversprechen umgesetzt werden soll. Dabei kracht es nicht nur zwischen den Parteien, sondern selbst innerhalb von CDU, CSU und FDP. Nach 100 Tagen gemahnt diese proklamierte Wunschehe eher an eine sich der Zerrüttung unaufhaltsam nähernde. Strahlende Wahlsiege scheinen zur Selbstüberschätzung und zum Verdrängen der politischen Realität zu verleiten. Zumal dann, wenn ein Partner, wie jetzt die Liberalen, vor der ersehnten Teilhabe an der Macht lange Jahre einflussloser Opposition durchzustehen hatten. Diese Erfahrung haben schon SPD und Grüne gemacht, als sie 1998 vor Selbstzufriedenheit über die Ablösung Helmut Kohls kaum laufen konnten. Sie legten einen vergleichbaren Fehlstart hin wie elf Jahre später Union und Liberale. Die Probleme Gerhard Schröders und Joschka Fischers waren fast dieselben wie heute die von Merkel und Westerwelle: kein schlüssiges Konzept für die verkündeten Reformvorhaben, deshalb Dauerzwist zwischen den Koalitionären und ein Kanzler Schröder, der zu viel moderierte und zu wenig führte. 100 Tage sind nicht viel angesichts einer 1460 Tage währenden Legislaturperiode. Diese Koalition hat Glaubwürdigkeit eingebüßt. Aber noch bleibt ihr Zeit genug, leichtfertig verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen - durch überzeugende inhaltliche Reformen. Solange über die nur vordergründig spekuliert wird, konkret aber noch fast alles offenbleibt, ist für diese Koalition nichts verloren. Ihre Zukunft hängt nicht von Stimmungen ab, sondern von jenen Taten, die sie für die Zeit nach der nächsten Steuerschätzung im Mai angekündigt hat. Dann kommt es zum Schwur.
Originaltext: Berliner Morgenpost Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2
Pressekontakt: Berliner Morgenpost Telefon: 030/2591-73650 bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
249982
weitere Artikel:
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu 100 Tagen Schwarz-Gelb: Bielefeld (ots) - Mit den ersten 100 Tagen endet gewöhnlich die Schonfrist einer Regierung. Was aber ist bei dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP gewöhnlich? Wohlwollende Beobachtung und Milde im Urteil hat die zweite Regierung Merkel bisher nur selten erfahren. Wo aber keine Zurückhaltung ist, kann keine abgelegt werden. So ist es nur konsequent, dass heute eine erste Bilanz gezogen wird. Das ist ungerecht wie gerecht zugleich. Ungerecht ist es, weil jedes Urteil voreilig sein muss. Gerecht ist es, weil diese Koalition sich stets als mehr...
- Lausitzer Rundschau: 100Tage Schwarz-Gelb Cottbus (ots) - Ginge es noch 200Tage so weiter wie in den ersten 100Tagen, dann würde die schwarz-gelbe Koalition ihren ersten Geburtstag nicht erleben. Vorzeitig gescheitert an zu viel Eitelkeit der kleinen Parteien, am Führungsmangel im Zentrum und am Mangel an Weitblick. Aber es wird nicht so weiter gehen, spätestens dann nicht, wenn die Wähler in Nordrhein-Westfalen am 9.Mai der FDP die verdiente Abmahnung erteilt haben. Dann, womöglich um die Bundesratsmehrheit geschwächt, wird bei der Koalition die Einsicht mehr...
- Lausitzer Rundschau: Warum Sixdays in Not sind - aber in Berlin boomen Cottbus (ots) - So mancher Radsport-Fan in der Lausitz mag die Welt der Sechstagerennen nicht mehr verstehen. Während sich vor seiner Haustür - einst in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle und heute am selben Standort im Velodrom - das Rundenkarussell wie eh und je dreht, sind in München, Dortmund und Stuttgart die Lichter ausgegangen. In der Saison 2010/11 wird es nur noch in Bremen und der Hauptstadt Sixdays in Deutschland geben - europaweit rund ein Dutzend Rennen. Was ist los in der Szene? Woraus resultieren die Veranstalter-Gegensätze, mehr...
- Donaukurier: Bahn hat Probleme mit ICE-Strecke Ingolstadt (ots) - Die Deutsche Bahn (DB) hat Probleme mit ihrer Prestigestrecke in Bayern: Wegen Schäden an den Gleisen verkehren die ICE-Züge zwischen Ingolstadt und Nürnberg derzeit nur noch mit Tempo 160. Üblich ist Tempo 300. Grund für die Geschwindigkeitsbeschränkung seien Mängel an der Befestigung der Schienen, sagte eine Sprecherin der DB dem DONAUKURIER (Ingolstadt). Das Tempolimit sorgt für Verspätungen von rund zehn Minuten. Vor allem Pendler leiden unter der Verzögerung. Zudem ist nicht gewährleistet, dass die jeweiligen Anschlusszüge mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Koalition / Bilanz Osnabrück (ots) - Die FDP - eine Partei im Praktikum Sehnsucht nach Schwarz-Rot bei Kanzlerin Angela Merkel? Nach 100 Tagen Quälerei mit einer selbstverliebten FDP wehmütige Gedanken an Sozialdemokraten wie Franz Müntefering, der die Rente mit 67 durchboxte, an Peer Steinbrück, der im Krisenherbst 2008 für Furore sorgte, oder an Frank Walter Steinmeier, den stillen Vizekanzler? Nach außen bemüht sich die Unionsvorsitzende um Ruhe, doch ein "Basta" zum Hotelbonus zeigt: Merkel ist genervt - auch von der FDP. Eine Partei im Praktikum, mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|