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Lausitzer Rundschau: Zur Karlsruher Entscheidung zu den Hartz-IV-Regelungen

Geschrieben am 09-02-2010

Cottbus (ots) - Hartz IV ist Armut per Gesetz. Mit diesem Slogan
ziehen bis heute viele Betroffene über Straßen und Plätze, um sich
gegen die größte Sozialreform der jüngeren deutschen Geschichte zu
wehren. Ebenso die Linkspartei, die politisch damit groß geworden
ist. Aber der Staat nahm die Mischung aus populistischer Empörung und
tatsächlicher Existenznot bisher kaum zur Kenntnis. Jetzt muss er es
tun. Denn Hartz IV ist Unrecht per Gesetz. Das haben nun fast schon
erwartungsgemäß die Karlsruher Verfassungsrichter verkündet - und der
Politik ein Armutszeugnis ausgestellt.
Was braucht der Mensch zum Leben, um auch als Bedürftiger seine
Menschenwürde wahren zu können? Dafür gibt es keinen objektiven
Bewertungsmaßstab. So lässt sich zum Beispiel trefflich darüber
streiten, ob ein Hartz-IV-Empfänger auch ein Handy benötigt oder
nicht. Wenn sich der Maßstab jedoch in purer Willkür erschöpft, dann
ist etwas faul im Sozialstaat Deutschland. Und genau diese traurige
Tatsache hat Karlsruhe in beispielloser Schärfe gebrandmarkt. Dabei
stören sich die Richter wohlgemerkt nicht in erster Linie an der Höhe
der staatlichen Zuwendungen, sondern an der Absurdität ihres
Zustandekommens. Wie erbost sie darüber gewesen sein mögen, lässt
sich an ihrer Vorgabe erahnen, die Missstände schon bis zum
Jahresende gesetzlich zu beseitigen. Das ist ein dramatisch kurzer
Zeitraum für einen derart tief greifenden Einschnitt ins Sozialrecht.
Die ersten Reaktionen der Bundesregierung legen leider den Schluss
nah, dass sie sich der Dimension dieser Aufgabe nicht bewusst ist.
Insbesondere die FDP tut so, als ließe sich das Urteil aus der
Portokasse bezahlen, nur um ihre Steuersenkungspläne nicht zu
gefährden. Was für ein Trugschluss! Nicht nur fiskalische
Entlastungen sind einmal mehr in weite Ferne gerückt. Auch auf das
Betreuungsgeld, welches die CSU ab 2013 allen daheim bleibenden
Müttern zukommen lassen will, sollte sich die Regierung nicht
versteifen. Denn im Kern bedeutet der Richterspruch, dass Kinder in
Hartz-IV-Familien ein Mindestmaß an soziokultureller Teilhabe
benötigen. Gradmesser dafür ist ein Bildungssystem, das auch dem
Nachwuchs in weniger begüterten Verhältnissen einen beruflichen
Aufstieg ermöglicht. Chancengerechtigkeit heißt
Bildungsgerechtigkeit. Das fängt mit der selbstverständlichen
Teilnahme an Klassenfahrten an und hört beim kostenlosen
Nachhilfeunterricht und der Notwendigkeit eines eigenen Computers für
die Hausaufgaben noch lange nicht auf.
Um diesem Anspruch nachzukommen, braucht es deutlich größere
Investitionen als die Aufstockung der Regelsätze um ein paar wenige
Euro. Und es braucht ein neues politisches Denken.

Originaltext: Lausitzer Rundschau
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/47069
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_47069.rss2

Pressekontakt:
Lausitzer Rundschau

Telefon: 0355/481232
Fax: 0355/481275
politik@lr-online.de


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