Neue Westfälische: Bundesverfassungsgericht rügt Regelsätze für Kinder Armut als Konzept NICOLE HILLE-PRIEBE
Geschrieben am 09-02-2010 |
Bielefeld (ots) - Zum Jubeln ist es viel zu früh, denn die Details des Karlsruher Richterspruchs könnten die "schallende Ohrfeige" für die Regierung zu einer Backpfeife abbremsen, die schnell wieder vergessen ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lässt ausdrücklich offen, ob das Arbeitslosengeld II erhöht werden muss oder nicht. Gerügt wurde nur das Wie, nicht das Was. Es ist schon absehbar, wie die schwarz-gelbe Koalition das Problem beheben wird: kosmetisch. Denn eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Sätze passt nicht zur systematischen und politisch gewollten Förderung des allgemeinen Lohndumpings, unter dem Arbeitnehmer zu leiden haben. Vor fast genau fünf Jahren hielt der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine flammende Rede vor dem Weltwirtschaftsforum. "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt", prahlte der SPD-Politiker in Davos. Zur Schaffung dieses Niedriglohnsektors, in dem heute bereits 20 Prozent der deutschen Arbeitnehmer beschäftigt sind, waren die Hartz-Gesetze das Mittel zum Zweck: Man lässt den Menschen so wenig, dass sie zwar überleben, aber nicht am Leben teilhaben können. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, sagte der damalige SPD-Chef Franz Müntefering. Dass die neuen Armutslöhne zwar sittenwidrig, Hartz-IV-Empfängern aber trotzdem zumutbar sind, hilft den Unternehmen doppelt: Sie können ihre Gewinne durch steuerfinanzierte Sozialleistungen für Aufstocker maximieren und mit der tatkräftigen Unterstützung der Politik auch alle anderen Arbeitnehmer unter Lohndruck setzen. Was vor 100 Jahren zur Revolution geführt hätte, löst heute jedoch höchstens Neiddebatten aus. Auch das ist politisch so gewollt - und am Steuer sitzt die Wirtschaft.
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