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Südwest Presse: Kommentar zu Westerwelle

Geschrieben am 16-02-2010

Ulm (ots) - Die Aufregung um Guido Westerwelles unfrisierte
Gedanken zum Sozialstaat wird sich mit dem rituellen Auftakt der
Fastenzeit am politischen Aschermittwoch nicht in ein befreiendes
Gelächter oder gar in Wohlgefallen auflösen. Dazu ist das Thema zu
ernst und die polemische Behandlung desselben durch den Außenminister
zu tadelnswert. Was der Liberale da mal eben ins Visier genommen hat,
ist ein Eckpfeiler unserer Gesellschaftsordnung, ein über Jahrzehnte
auch international anerkanntes System ausgleichender Gerechtigkeit.
Wenn Westerwelle gut drei Monate nach der Bundestagswahl plötzlich
erkennt, dass da etwas faul im Staate ist und akuter Korrekturbedarf
besteht, muss er als Teil der Bundesregierung handeln. Was aber macht
der FDP-Vorsitzende? Er wärmt die vor über drei Jahrzehnten von
CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erfundene Wahlkampfparole
"Freiheit statt Sozialismus" auf und erstickt auf diese Weise jede
Debatte um eine zuträgliche Balance zwischen wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit und sozialer Verantwortung.
Um das von Westerwelle im Stil eines auf Krawall gebürsteten
Oppositionsführers aufgespießte Problem haben Union und FDP bei der
Abfassung ihres Koalitionsvertrages einen weiten Bogen gemacht. Was
im schwarz-gelben Arbeitsprogramm zur Zukunft der
Sozialversicherungen steht, ist entweder vage oder nicht umsetzbar.
Der schrille Auftritt des Ober-Liberalen wirft also eher ein
Schlaglicht auf die Unausgegorenheit der regierungsamtlichen
Reformpläne als auf die gewiss nicht rosige Verfassung unseres
Sozialsystems. Die Koalition hat nicht die Spur einer gemeinsamen
Idee, wie der von Westerwelle jetzt ausgerufene "völlige Neuanfang"
in der Sozialpolitik aussehen soll.
Jedenfalls die FDP steht, von ein paar markigen Plattitüden über den
Lohn der Arbeit abgesehen, mit ziemlich leeren Händen da. Dazu haben
die programmatische Engführung der Partei und die Selbstbezogenheit
ihres Vorsitzenden in den letzten Jahren erheblich beigetragen. Jetzt
wird immer deutlicher, dass die liberalen Kernforderungen zur
Steuerpolitik oder zum Gesundheitswesen nicht anschlussfähig sind -
sie scheitern an der Wirklichkeit. In einer Mischung aus
Überheblichkeit und gekränktem Stolz gibt Westerwelle Gas, statt
innezuhalten und einzusehen, dass die FDP im September nur deshalb so
stark wurde, weil die Wähler den Wechsel wollten, nicht aber den
totalen Marktliberalismus.
Erstmals seit der internen Machtprobe mit Jürgen W. Möllemann läuft
Westerwelle Gefahr, aus den eigenen Reihen in Frage gestellt zu
werden, weil natürlich auch seinen Parteifreunden nicht verborgen
bleibt, wie sehr der Vize-Kanzler mit dem FDP-Chef kollidiert.
Zudem ist der liberale Alleinherrscher dem Irrtum erlegen, dass die
Union mit dem Ende der großen Koalition sämtliche
sozialdemokratischen Anwandlungen über Bord geworfen und nur darauf
gewartet hat, an der Seite der FDP endlich die reine Lehre von
bürgerlicher Freiheit und staatsferner Wirtschaft realisieren zu
können.
Allmählich dämmert es Westerwelle, dass die vermeintliche Traumehe
mit Angela Merkel ein großes Missverständnis sein könnte. Sein
panikartiger Reflex ist eines Kanzlerstellvertreters unwürdig und
erhöht nur das Risiko, bei nächster Gelegenheit die Enttäuschung der
Wähler auf sich zu ziehen. Sollte aber die schwarz-gelbe Koalition in
Nordrhein-Westfalen am 9. Mai abgesetzt werden, geriete das Berliner
Bündnis erst recht in unkalkulierbare Turbulenzen.
Es hilft nichts: Westerwelle muss heute Asche auf sein Haupt streuen
und Buße tun. Nur dann bleibt ihm die Hoffnung auf ein politisches
Ostererlebnis.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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