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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Linkspartei

Geschrieben am 16-05-2010

Bielefeld (ots) - Seine Anhänger würden es Punktlandung nennen,
seine Kritiker wohl eher von Ironie der Geschichte sprechen:
Ausgerechnet jetzt, wo der Saarländer Oskar Lafontaine den
Parteivorsitz abgibt, steht die Linke vor ihrem größten Erfolg. Mit
jedem Tag, der im Düsseldorfer Koalitionspoker vergeht, rückt
Rot-Rot-Grün an Rhein und Weser näher. Für das neue Führungsduo
Gesine Lötzsch und Klaus Ernst könnte es ein Traumstart werden. Die
48-jährige Berlinerin heimste bei ihrer Wahl schon einmal das
Rekordergebnis von 92,8 Prozent ein. Strahlen ließen die Delegierten
auch den 55-jährigen Bayern, der auf respektable 74,9 Prozent kam.
Viel Vorschusslorbeeren für die Beiden, die gemeinsam ein Machtvakuum
in der Linken verhindern sollen und doch unterschiedlicher nicht sein
könnten. Hier die sachorientierte Pragmatikerin aus dem Osten mit
SED- und PDS-Vergangenheit, dort der fürs Zuspitzen bekannte und auch
in den eigenen Reihen umstrittene Gewerkschafter aus dem Westen, der
die WASG mitbegründete, nachdem er aus der SPD verstoßen worden war.
Diese Lösung ist so fein austariert, dass sie fast zu schön ist, um
wahr zu sein. Erst recht, wenn man bedenkt, dass auch die neue
Geschäftsführung nach dem gleichen Strickmuster konstruiert ist. Doch
auf eine kritische Selbstbetrachtung will und kann sich die Linke
derzeit nicht einlassen. So stand der gesamte Parteitag unter der
Direktive, keinen neuen Streit zu entfachen. Harmonie war Trumpf und
Ruhe in Rostock deshalb erste Mitgliederpflicht. Dabei sind die
Probleme der Partei offensichtlich. Der Vereinigungsprozess dieser
zwei so ungleichen Partner aus Ost und West, aus SED-Nachfolgern und
SPD-Flüchtlingen, aus Pragmatikern und Fundamentaloppositionellen ist
längst nicht abgeschlossen. Die Linke bleibt die Partei der
Gegensätze, vom Führungsduo bis hinunter zur Basis. Das zeigt auch
die quälende Programmdebatte, die noch mindestens bis Ende nächsten
Jahres weitergehen soll. Noch allerdings überdeckt die Serie von
Wahlerfolgen alle Gräben. In 13 der 16 Landtagen ist die Linke
mittlerweile vertreten. Nur in Baden-Württemberg, Bayern und
Rheinland-Pfalz sitzt sie nicht im Parlament. Und nun winkt im
größten und industriepolitisch bedeutsamen Nordrhein-Westfalen gar
die Teilhabe an der Macht. Kommt es so, ginge die Reifeprüfung für
die Linke erst los. Schon werden radikale Forderungen wie die
Einführung einer 30-Stunden-Woche und die Verstaatlichung der
Energiekonzerne geschleift. Diese Entzauberung mag Mitglieder und
Anhänger enttäuschen und wird, früher oder später, Stimmen kosten.
Doch nur in Regierungsverantwortung kann die Linke beweisen, dass sie
Gestaltungskraft besitzt. Oskar Lafontaine hat seine Partei im
Eiltempo bundesweit konstituiert. Gesine Lötzsch und Klaus Ernst
müssen die Linke nun einen und etablieren. Ob ihnen das gelingt, ist
völlig offen.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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