Südwest Presse: Leitartikel: Koalition
Geschrieben am 26-05-2010 |
Ulm (ots) - Selbst wenn Roland Kochs Rückzug aus der Politik lange
geplant war, wirft der Vorgang ein Schlaglicht auf den akuten Zustand
der CDU. Die Partei der Bundeskanzlerin leidet mitten in einer
krisenhaft zugespitzten Lage an personeller und programmatischer
Auszehrung. Angela Merkel sind nach und nach wichtige Rivalen
abhanden gekommen, die als konservative Widerlager der
Modernisiererin an der Spitze der Union funktionierten und für jene
innere Balance sorgten, ohne die eine Volkspartei der rechten Mitte
nicht dauerhaft existenzfähig wäre. Leider ist es um den
Juniorpartner in der schwarz-gelben Koalition noch schlechter
bestellt. Die FDP erweist sich als heillos überfordert. Auch ein
halbes Jahr nach Amtsantritt enttäuschen die Liberalen auf ganzer
Linie - von Außenminister Guido Westerwelle bis zur
Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger. Die Bürger wenden sich mit
Grausen ab, CDU und CSU erkennen schaudernd, dass mit dieser
Laienspielschar kein Staat zu machen ist. Alle großspurigen
Verheißungen der FDP haben sich in Luft aufgelöst. Das alles wäre zu
verschmerzen, ginge es nur um das Schicksal einzelner Parteien oder
ihrer führenden Repräsentanten. In Wahrheit steht Deutschland vor
einem tiefen Einschnitt, denn die Turbulenzen auf den internationalen
Finanzmärkten haben sich derart ausgeweitet, dass manche EU-Länder
dem Bankrott ins Auge sehen und milliardenschwerer Hilfe bedürfen.
Solche Maßnahmen wiederum hinterlassen dramatische Spuren auch in den
öffentlichen Haushalten der Bundesrepublik. Mit anderen Worten: All
die Rettungsschirme und Hilfspakete, zu denen die deutschen
Steuerzahler in letzter Instanz gezwungen werden, bürden vor allem
den nachwachsenden Generationen unvorstellbare Lasten auf. Die
Politik wird aber ihrer Verantwortung gegenüber den künftigen Trägern
des Gemeinwesens nicht schon dadurch gerecht, dass sie auf die
angeblich alternativlose Notwendigkeit hinweist, mal das
Bankensystem, mal den Euro-Verbund und damit zugleich die deutsche
Volkswirtschaft vor dem Konkurs zu bewahren. Bisher macht die
Koalition nicht den Eindruck, als habe sie die historische Dimension
ihrer Aufgabe erkannt und sei bereit, sich und die Bevölkerung darauf
einzustellen. Erforderlich nämlich wäre ein grundlegender Wandel des
Regierungshandelns - weg vom kurzatmigen Krisenmanagement und dem
bangen Blick auf die nächsten Wahlen, zum Beispiel am 27. März 2011
in Baden-Württemberg. Einstweilen irrlichtert die Kanzlerin auf
europäischer und nationaler Bühne umher, sie versteckt sich hinter
den gewaltigen Problemen und hofft, dass ihre Kritiker angesichts der
epochalen Herausforderung verstummen mögen. Roland Koch hat in der
Begründung seines Abschieds von der Politik eine drängende Erwartung
an Angela Merkel adressiert, ohne die CDU-Vorsitzende beim Namen zu
nennen. Er wünscht sich "Mut und Entschlossenheit" von der
Bundeskanzlerin und warnt davor, "Entscheidungen nur deshalb zu
verweigern oder zu verzögern, weil wir Angst vor dem Echo haben".
Viel deutlicher kann man die Regierungschefin nicht abmahnen. Mit den
Worten des Tübinger Philosophen Otfried Höffe brauchen Merkel und ihr
Kabinett jetzt "die Courage, die Eigenmacht der Wirtschafts- und
Finanzwelt zu brechen und den Vorrang demokratischer Politik zu
wahren". Ein solcher Kraftakt ist gewiss mit Risiken für die eigene
Popularität verbunden. Aber entweder die Bundeskanzlerin und die
Koalition raffen sich dazu auf, die Krise beherzt und zielstrebig zu
meistern, oder sie werden am Ende von der Krise erdrückt.
Originaltext: Südwest Presse
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Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
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