Rheinische Post: Flucht aus dem Amt
Geschrieben am 31-05-2010 |
Düsseldorf (ots) - Deutschland befindet sich in der tiefsten Krise
der Nachkriegszeit. In einer Phase, in der die Bevölkerung Vertrauen
in die Institutionen des Landes haben muss, erklärt Bundespräsident
Köhler seinen Rücktritt. Damit liefert er seinen Kritikern den
Nachweis, dass ausgerechnet der Inhaber die Bedeutung des höchsten
Amtes im Staat falsch einschätzt. Köhlers Motive, die in persönlicher
Verletztheit und wohl auch getroffener Eitelkeit zu suchen sind,
machen es schwer, seinen Rücktritt zu akzeptieren. Ein
Bundespräsident darf sich nicht von der parteipolitisch motivierten
Kritik zweitrangiger Vertreter des Berliner Betriebes und auch nicht
von einem kritischen Medienecho derart erschüttern lassen, dass er
aus dem Amt flieht. Zumal Kritik an Äußerungen des Staatsoberhaupts
wie seiner Amtsführung in einer Republik durchaus gestattet und noch
kein Beleg mangelnden Respekts vor dem Amt sind. Eher lassen der
Rücktritt und seine Umstände diesen Respekt vor dem Amt vermissen.
Köhler begibt sich leider in eine Reihe mit jenen, die Regierung und
Parlament und den sie tragenden Parteien argwöhnisch gegenüberstehen.
Von Beginn seiner Amtszeit an beschritt Köhler diesen gefährlichen
Weg, in dem er von "den Politikern" sprach und sich außerhalb des
Systems stellte, dessen herausragender Teil er selber sein müsste.
Ein unangreifbarer Bürgerpräsident - das war Köhlers Selbstbild. Ein
glückloser Bundespräsident - das ist nach sechs Jahren das Fremdbild,
das auch viele Politiker aus Union und FDP von ihm gewonnen haben.
Dabei waren es mit Angela Merkel, Guido Westerwelle und dem damaligen
CSU-Chef Edmund Stoiber die bürgerlichen Parteien, die Köhler auf
Westerwelles Wohnzimmercouch als Pionier der schwarz-gelben Republik
auserkoren hatten. Beide Seiten entfremdeten sich bald, Köhlers
Wiederwahl 2009 war zähneknirschende Routine. Längst galt der Versuch
als gescheitert, mit dem vielbeschworenen Außenseiter "Horst wer . .
.?" frischen Wind in die Politik zu bringen. Der hölzerne Redner
schoss entweder mit resignativer Angst-Rhetorik über das Ziel hinaus,
indem er die Finanzmärkte als "Monster" geißelte, oder er
vergaloppierte sich in heiklen Fragen mit missverständlichen
Formulierungen. Wie jetzt bei einem Interview, das die Deutung
zuließ, er rede Wirtschaftskriegen das Wort. Ein politischer Profi
hätte im Nachhinein anders reagiert als Köhler, hätte mit
persönlichen Erklärungen, auch einmal einer Entschuldigung Dinge
gerade gerückt. Und er hätte Kritik ausgehalten. Als letzte
Amtshandlung stürzt Köhler das Land in eine Vertrauenskrise. Die
Bundesregierung, auch viele Landesparlamente - besonders das in
Nordrhein-Westfalen - hätten anderes zu tun, als einen
Bundespräsidenten zu suchen. Trist endet eine Amtszeit, die die Ära
eines Erneuerers werden sollte.
Originaltext: Rheinische Post
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