Rheinische Post: Gabrielanti will es in NRW wissen Kommentar Von Sven Gösmann
Geschrieben am 17-06-2010 |
Düsseldorf (ots) - Hü und hott, Umfaller, Ampelgehampel, Wortbruch
- nach 40 Tagen Regierungssuche in Nordrhein-Westfalen gehen einem
die Beschreibungen für das traurige Schauspiel aus, das die Parteien
dem verdrossenen Wahlvolk bieten. Wie also soll man die Volte
bewerten, die SPD-Chefin Hannelore Kraft nun geschlagen hat, um doch
noch in die Staatskanzlei zu gelangen? Vor Tagen erst lehnte sie eine
rot-grüne Minderheitsregierung ab. Plötzlich soll ein solches
Regierungsbündnis doch zustande kommen. Mitte Juli will sich Kraft im
Landtag zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Mit wessen Stimmen
außer denen der rot-grünen Abgeordneten dies geschehen soll, lässt
die SPD offen. Ebenso bedeckt hält sie sich bei der Frage, ob sich
Kraft im vierten Wahlgang mit einfacher Mehrheit wählen ließe. Dies
wäre eine allenfalls zweifelhafte Legitimation - erst recht für die
Chefin einer Minderheitsregierung. Krafts Glaubwürdigkeit nimmt
dadurch schweren Schaden. Zu deutlich wird, dass Kraft die Hoheit
über ihr Handeln verloren hat, zur Getriebenen geworden ist. Der
Treiber ist bekannt: Angefeuert durch die Grünen, hat SPD-Chef Sigmar
Gabriel Kraft seit Tagen massiv gedrängt, sich auf das Wagnis einer
Minderheitsregierung einzulassen. "Kraftilanti" hatte die CDU sie
einst in Anlehnung an die gescheiterte hessische Linksauslegerin
Ypsilanti genannt. Das war immer ungehörig und lange ungerecht.
"Gabrielanti" trifft es dagegen eher. Der SPD-Chef jedenfalls hetzt
Kraft in das Abenteuer, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Damit
bricht er vorerst die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat und
versetzt der schwächelnden Bundesregierung von Angela Merkel einen
noch nicht tödlichen, doch zumindest schmerzhaften Hieb. Wie stark
aber wäre eine Ministerpräsidentin Kraft, die so etwas mit sich
machen lässt? Mag sein, dass die von Richtungskämpfen gelähmte FDP in
der ein oder anderen Sachfrage im Parlament zu Rot-Grün überläuft.
Mag sein, dass die Linke sich bei sozialen Symbolthemen als
verlässliches Stimmvieh für Kraft erweist. Mag sein, dass Kraft für
die sinnvollste Lösung, eine große Koalition, in ihrer Partei zurzeit
keine Mehrheit hätte. Wie stabil aber wäre eine Regierung, die die
Linkspartei noch kürzlich für demokratieunfähig erklärt hat und die
FDP für "marktextremistisch" und sich nun von beiden aushalten lassen
will? Und wie geht es weiter mit NRW, dem wirtschaftlichen Herz des
krisengeschüttelten Deutschland? Kraft und ihre grünen Partner machen
es zum Versuchsfeld. Bis zum Scheitern des Experiments wird das Land
nicht konstruktiv, sondern allenfalls destruktiv regiert werden. Ob
die dann fälligen Neuwahlen klare Mehrheiten bringen, ist ungewiss.
Gestern hat jedenfalls Machtstreben über Vernunft gesiegt. Das darf
nicht so bleiben.
Originaltext: Rheinische Post
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