WAZ: Steinbrück prangert Gier der Reichen an
Geschrieben am 17-09-2010 |
Essen (ots) - Der ehemalige NRW-Ministerpräsident und
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat mit harten Worten die
"Maßlosigkeit" der Privilegierten und Reichen gegeißelt.
"Parallelgesellschaften existieren nicht nur am unteren Ende, sondern
auch an der Spitze der Einkommenspyramide", sagte Steinbrück in einem
Gespräch mit der WAZ. "Dort leben diejenigen, die sagen: Wir brauchen
den Staat nicht, jeder Euro Steuerzahlung ist zu viel. Öffentliche
Dienstleistungen benötigen wir nicht, wir können sie privat kaufen."
Die Gesellschaft sei nicht gefährdet durch Rechts- oder
Linksausleger, sondern durch die Protagonisten des Systems selbst.
"Es sind die Privilegierten, die durch Maßlosigkeit, den mangelnden
Sinn für Balance und Proportionen, durch eine Bereicherungsmentalität
an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Ihnen fehlt der Sinn für
soziale Bündnisse nach unten, um Verlierer zu integrieren", so
Steinbrück. Die Menschen in der Oberschicht müssten erkennen, "dass
ihre übersteigerten Gewinnerwartungen zur Zerstörung der
Marktwirtschaft führen. Und dass ihre persönliche
Einkommensentwicklung so nicht weiterlaufen kann."
Gemeinwohlorientierung könne man aber nicht durch Gesetze verordnen.
"Das geht nur durch eine breite Debatte", so der Sozialdemokrat.
Steinbrück bemängelte auch die zunehmende Distanz zwischen Bürgern
und Politikern. "Die Menschen entwickeln nur noch wenig Sympathie für
Politiker, die parteipolitisch als sehr selbstbezogen wahrgenommen
werden und darüber ihre Realitätswahrnehmung einschränken. Die
politische Klasse wird teilweise als dumpfbackig wahrgenommen." Der
ehemalige SPD-Parteivize kritisierte auch seine eigene Partei. Er
schlug vor, dass SPD-Abgeordnete ihr Mandat verlieren sollten, wenn
sie im eigenen Wahlkreis mehrmals weniger Zuspruch erhielten als die
Partei insgesamt. "Ich habe Abgeordnete erlebt, deren
Erststimmen-Ergebnis regelmäßig viel schlechter ausfiel als das
Zweitstimmen-Ergebnis der Partei. Das hinderte sie aber nicht, im
selbstreferenziellen System der SPD die lauteste Stimme zu führen.
Mir würde dieser Widerspruch zu denken geben", sagte er.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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