WAZ: Schlechte Noten von der OECD: Kaum durchlässiger als das Kastenwesen - Kommentar von Christina Wandt
Geschrieben am 12-09-2006 |
Essen (ots) - Das deutsche Bildungssystem hat eine Vielzahl von unbestreitbaren Vorzügen und einen großen Fehler: Es ist nur unwesentlich durchlässiger als das indische Kastenwesen von einst. Wenn die Schüler nach der vierten Klasse auf die verschiedenen Schultypen verteilt werden, wird auch über ihre berufliche Zukunft entschieden. Denn der Wechsel von der Haupt- zur Realschule, von der Realschule zum Gymnasium bleibt die Ausnahme. Wer einmal studieren wird, wer eine Ausbildung machen wird, wer die Sozialhilfekarriere der Eltern fortsetzen muss, steht im Alter von zehn Jahren fest - spätestens.
Tatsächlich vernachlässigen wir die vorschulische Bildung so sehr, dass Kinder ausländischer oder sozial benachteiligter Eltern in der Regel schon bei der Einschulung hinterherhinken. Kindergärten müssen daher zu Bildungsstätten gemacht werden, vor allem müssen sie die sprachliche Entwicklung der Kinder fördern. Diese Forderung hat keinerlei Neuigkeitswert, sie wird jedoch so mählich umgesetzt, dass man einmal an sie erinnern darf. Auch daran, dass ein Kindergarten, der Kinder bilden will, Personal benötigt, das gut qualifiziert ist und gut bezahlt wird.
In anderen Ländern führt längst ein Studium in den Erzieherberuf. In anderen Ländern, das belegt der aktuelle OECD-Bildungsbericht, wird ohnedies viel mehr studiert. Viel mehr Menschen erwerben dort die Hochschulreife, viel mehr Berufe erfordern einen akademischen Abschluss. Möglich ist das, weil die Hochschulen flexiblere Angebote machen, weil nicht jeder, der dort studiert, den Nobelpreis anstreben muss. Die Zahl kurzer, praxisorientierter Studiengänge ist größer, die Zugangsmöglichkeiten zur Uni sind vielfältiger.
Die Erkenntnis, dass Abschlüsse zu Anschlüssen werden müssen, dass ein Meistertitel ein Eintrittsticket für die Hochschule sein kann, setzt sich hier viel zu langsam durch. Den meisten Auszubildenden wird weder eine Zusatzqualifikation ermöglicht noch gar ein berufsbegleitendes Studium angeboten. Auch Fortbildung ist in Deutschland ein Privileg der bereits Hochqualifizierten, für alle anderen muss die Rede vom lebenslangen Lernen wie Hohn klingen. Wer Ehrgeiz, Intelligenz und Fachwissen mitbringt, aber kein Abitur, hat zu wenig Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Dabei ist akademische Bildung noch immer der wirksamste Schutz vor Arbeitslosigkeit, dabei können wir unseren Bedarf an Spitzenkräften gar nicht allein mit den Abiturienten decken. Es ist an der Zeit, die Kasten abzuschaffen.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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