LVZ: Talfahrt
Geschrieben am 17-09-2006 |
Leipzig (ots) - Von Bernd Hilder Rot-Rot hat spürbar verloren. Sowohl in Berlin als auch in Mecklenburg-Vorpommern. Doch die CDU konnte davon nicht profitieren. Sie musste in beiden Ländern als Oppositionspartei trotz vernichtend magerer rot-roter Regierungsbilanzen Verluste hinnehmen. Die Behauptung des CDU-Spitzenkandidaten Pflüger in Berlin, die CDU sei zurück, ist tollkühn realitätsfern. Der Wahlabend zeigt zwei Dinge: Erstens leidet die Union stärker als die SPD unter der Leistungsschwäche der großen Koalition in Berlin. Zweitens sind die Zeiten vorbei, in denen nach Ergebnissen von unter 40 Prozent in den beiden großen Volksparteien die Verantwortlichen abserviert wurden. Als Sieger kann sich oft schon ausgelassen feiern lassen, wer als Kandidat die 30-Prozent-Marke knackt. Die integrative Bindungskraft von CDU und SPD lässt rapide nach. Das ist die Talfahrt der Volksparteien: In Berlin landeten Graue Panther, Neo-Nazis und Sonstige bei mehr als zehn Prozent. In Schwerin wird die NPD ihren politischen Unfug und Unrat - wie in Sachsen - im Landtag verbreiten können. Diese Entwicklungen offenbaren in Kombination mit niedriger Wahlbeteiligung die Verunsicherung der Bevölkerung. Der Kanzlerinnen-Bonus ist verflogen. Angela Merkel wird eher mit verpfuschten Reformvorhaben und Regierungsstillstand identifiziert als Franz Müntefering oder Kurt Beck. Regierte heute noch Rot-Grün in Berlin, wenigstens an der Ostsee-Küste hätte die CDU das Blatt wohl wenden können. Jetzt muss die Partei aufpassen, dass sie nicht sogar dort die Macht verliert, wo ihre Politiker in Ministerpräsidentensesseln sitzen. Das Verhältnis von schwächelnder Kanzlerin und CDU-Landesfürsten, die bislang noch gequält gute Miene zum Berliner Spiel machen, kann sich zusehends verschlechtern. Gründlich schief gegangen ist Merkels von Generalsekretär Pofalla in Szene gesetzter Versuch, durch die Aufgabe traditioneller Unionswerte die Partei auf einen neuen, angeblich speziell Großstadt-tauglichen Kurs links von der Mitte zu bringen. In Berlin ist das Ergebnis erschütternd, in Mecklenburg-Vorpommern trieb die CDU der FDP bürgerliche Wähler zu. Für den CDU-Parteitag im November wird sich Merkel einiges einfallen lassen müssen, will sie nicht gefährlich an Rückhalt verlieren. Mit einem lachenden und einem blauen Auge ist die SPD davongekommen. In Berlin kann sich Klaus Wowereit den Koalitionspartner aussuchen. Populärer als der bisherige rot-rote Senat wäre ein rot-grüner, ein Senat der Sieger. Wowereit bringt sich bundesweit aber bisher als Verfechter von Rot-Rot gegen die große Koalition sogar als möglicher Kanzlerkandidat in Stellung: Alles ist möglich mit Wowereit. Die Berliner Grünen, die geradezu um eine Regierungsbeteiligung betteln, müssen weiter zittern. Überwiegend verloren hat die Linkspartei, der weder der unberechenbare Lafontaine noch die Übernahme von Verantwortung als regierende Juniorpartner bekommen. In Schwerin hat sie zwar leicht zulegen können, muss aber um die Ministerposten bangen. In Berlin brach sie besonders bei ihren Stammwählern im Osten ein. Wo die Linkspartei regiert, verliert sie schnell ihren Ruf als Protestpartei, die verspricht, aus Wundertüten soziale Geschenke zu verteilen.
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