LVZ: Kind oder Katze?
Geschrieben am 15-03-2006 |
Leipzig (ots) - von Micha Schneider Einem Mieter darf wegen lärmender Kinder in der Regel nicht gekündigt werden, entschied das Amtsgericht Frankfurt am Main gestern. Sarkastisch müsste man kommentieren, dass derartige Prozesse in Zukunft seltener werden, da es ohnehin immer weniger Kinder hier zu Lande gibt. Der Prozess-grund zeigt aber auch, welch ge-ringen, oft als Belastung empfunde-nen Stellenwert unser Nachwuchs hat. Die Alarmglocken schrillen ob der Nachricht vom Negativrekord bei der Geburtenzahl. Der Ruf nach der Politik wird laut, Maßnahmen wer-den eingefordert. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem das Bewusstsein schwindet, dass Kinder nicht nur Last, sondern Freude und Zukunftssicherung sind, ist der Staat überfordert. Er kann und will nicht wie im kommunistischen Rumänien das Kinderkriegen verordnen, er kann maximal Rahmenbedingungen schaffen, die die Entscheidung erleichtern. Finanzspritzen, Steuererleichterungen, bessere und ausreichende Betreuung in Krippen, Horten und Schulen, günstigere berufliche Regelungen für Mütter müssen kommen, allein dadurch wird es aber keinen Geburtensprung geben. Solange Anspruchsdenken, Nützlichkeitserwägungen und Selbstverwirklichungstrips immer mehr in den Vordergrund rücken, bleiben vermeintlich antiquierte Werte wie Fürsorge, Verständnis, Zuwendung, Liebe auf der Strecke. Auch unter verbesserten staatlichen und betrieblichen Voraussetzungen können sich junge Eltern Abenteuerreisen ebenso abschminken wie ausgedehnte Disko- oder Partynächte. Neben der Angst vor sozialen und finanziellen Problemen ist es zunehmend die mangelnde Bereitschaft, sich selbst zugunsten eines anderen zurückzunehmen, die dem Ja zum Kind entgegensteht. Auf einem Klassentreffen zählen zwei oder gar drei Kinder nichts im Vergleich zu einer steilen Karriere, einem schicken Auto, Reisen und Eigenheim. Hier können alle, ob jung oder alt, mit dafür sorgen, dass Bewertungsmaßstäbe wieder neu justiert werden, Dasein nicht allein unter der Fragestellung "Kinderwagen oder Sportwagen" über Materielles definiert wird. So ist das Nein zum Kind kein isoliertes gesellschaftliches Phänomen. Single-Haushalte dominieren, immer weniger Familien bleiben zusammen, alte oder kranke Verwandte werden möglichst schnell ins Heim und aus dem Bewusstsein abgeschoben. Diese Lebensmuster sind allgegenwärtig, prägen damit auch die Perspektivsuche der heranwachsenden, jungen Generation. Das durch Schwangerschaftsverhütung und künstliche Befruchtung planbare Kind bietet die Chance zur Selbstbestimmung. Diese ausschließlich ich-bezogen zu nutzen, führt nicht nur zum Geburtenrückgang und den daraus resultierenden demografischen Folgen, sondern auch zu zunehmender Gefühlsarmut. So wundert es nicht, wenn Katzen willkommener sind als Kinder.
Originaltext: Leipziger Volkszeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6351 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6351.rss2
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