WAZ: Aufsehen erregende Unauffälligkeit
- Kommentar von Angela Gareis
Geschrieben am 29-03-2006 |
Essen (ots) - Während Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) auf der Regierungsbank lächelnd schwätzen, fährt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrem Stuhl vor und zurück. Nach einer Weile fängt Vizekanzler Franz Müntefering neben ihr auch damit an vor, zurück und irgendwann bewegen Merkel und Müntefering sich synchron. Warum man das erwähnen darf? Weil es Bemerkenswertes spiegelt.
Angela Merkel ist auf gutem Wege, die als Notgemeinschaft begonnene große Koalition in eine Interessensgemeinschaft zu verwandeln. Sie tut es mit Aufsehen erregender Unauffälligkeit. Den Streit um den Kündigungsschutz, der zum Koalitionskrach auszuarten drohte, entschärft sie während der Generaldebatte im Vorbeigehen. An die Adresse der Unionspolitiker, die Müntefering mit Forderungen nach weiterer Lockerung provoziert haben, sagt Merkel, dass man jetzt erst einmal die Koalitionsvereinbarung umsetzen werde. Das sei eine Frage der Verlässlichkeit.
Das ist ein Machtwort neuer Machart, eines, das ohne die Demonstration von Macht und ohne Verletzungen auskommt, weil es zwei schlagende Argumente beinhaltet: Zuverlässigkeit und Pragmatismus. Wir tun, was wir gesagt haben, und wir tun es in diesem kleineren Rahmen, weil wir uns auf den größeren nicht verständigen konnten.
Kritiker werfen Merkel vor, dass sie strittige Themen wie Atomausstieg oder die umfassende Gesundheitsreform vertage, weil sie Angst vor Auseinandersetzungen in der Koalition habe. Tatsächlich aber steht die Erkenntnis dahinter, dass nur das Mögliche auch wirklich möglich ist. Wenn Union und SPD mit ihren Modellen für die Krankenversicherung der Zukunft unvereinbar weit auseinander liegen, dann muss man das tun, was gemeinsam zu bewerkstelligen ist. Und vermutlich setzt die Kanzlerin darauf, dass sich im Handeln Gemeinsamkeiten ergeben, die später noch etwas mehr möglich machen.
Merkels kleine pragmatische Schritte im Dschungel der Eitelkeiten des politischen Geschäfts könnten am Ende durchaus weiter führen als mancher kühn geplante Sprung. Denn in 130 Tagen hat die Kanzlerin in aller Ruhe überraschend viel erreicht. Deutschland hat wieder eine klare außenpolitische Position. Viele Menschen schöpfen Vertrauen in die Politik. Das Wachstum wächst. Und die hoch gemauerten Lagergrenzen zwischen Union und SPD werden niedriger, was Freiheit zum Handeln verschafft.
Das sind immerhin gute Voraussetzungen für die zweite Etappe der Bundesregierung, in der sie das Land reformieren will. Jetzt kommt die erste ernsthafte Belastungsprobe für die große Koalition mit viel Arbeit für die Synchronpolitiker Merkel und Müntefering.
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