 Westfälische Rundschau: Kommentar Türkei / Erdogan
Geschrieben am 15-04-2007 |
Dortmund (ots) - Die Nachrichtenlage in Sachen Türkei ist mal
wieder irritierend. Und damit ist sie leider allemal geeignet, den
Kräften Auftrieb zu geben, die ja schon immer gewusst haben wollen,
dieses Land sei grundsätzlich nicht reif für Europa.
Zugeben, die Türkei stranguliert sich aktuell selbst in ihrer
Entwicklung mit einem Nationalismus, der nicht nur wegen der
anstehenden Wahl des Staatspräsidenten hysterische Ausmaße angenommen
hat. In dieser Beziehung stehen sich der den Islamisten zuneigende
Regierungschef Erdogan, das teilweise reaktionäre Militär, aber auch
die SPD-Schwesterpartei CHP in nichts nach.
Die Frage ist, ob Erdogan der Versuchung erliegt, für verlockende
sieben Jahre Staatspräsident zu werden. Die Ängste, dann könnte die
Trennung von Staat und Religion weiter aufgeweicht werden, sind
nachvollziehbar. Zunehmend, und im Widerspruch zur Verfassung, werden
Firmen und Verbände nach den Regeln der Scharia geführt. Erdogans
Partei AKP weiß darin eine mehrheitlich ländliche, von westlichen
Ansprüchen überforderte Bevölkerung hinter sich.
Hüter der modernen Werte der Republik sind nun jene Militärs, die
ihrerseits damit liebäugeln, im Nordirak einzumarschieren, um dort
kurdische Terroristen zu jagen - ausgerechnet in jener Region, die
als einzige im Irak einigermaßen ordentlich funktioniert. Diese
weltlichen Wächter der Verfassung darf man sich indes nicht als
liberal-demokratische Instanz vorstellen. Im Gegenteil: Im Polizei-
und Militärapparat gab es zuletzt erhebliche Sympathien für den
Täter, der den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink erschoss.
Die Türkei ist tief gespalten, der Riss verläuft zwischen
religiös und säkular, aber auch zwischen aufgeschlossen und
rückwärtsgewandt. Und so lange die Politik durch die Wahl blockiert
ist, wird in all dem Nebel auch kaum zu erkennen sein, ob die Türkei
wirklich weiter Richtung Europa aufbrechen will.
Originaltext: Westfälische Rundschau
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