Westfälische Rundschau: WR-Kommentar zum Rücktritt von Platzeck
Geschrieben am 10-04-2006 |
Dortmund (ots) - Von Klaus Schrotthofer
Man hat ihn eine "ehrliche Haut" genannt. Und so hat sich Matthias Platzeck auch als SPD-Vorsitzender verabschiedet. Er hat gesagt, dass sein Amt seine Kräfte überfordert hat. Das ist buchstäblich lebensgefährlich in einer Welt, in der jedes Anzeichen von Schwäche gnadenlos ausgenutzt wird. Schwere Krankheiten und psychische Krisen werden dort nicht selten als harmlose Grippe getarnt, um den Anschein immerwährender Dynamik und Allmacht nicht zu gefährden. Politik als Beruf ist ein menschenfeindliches Geschäft. Platzeck hat daraus realistische Konsequenzen gezogen. Dafür gebührt ihm Respekt.
In der Geschichte der SPD waren Führungswechsel stets Zäsuren. Als Oskar Lafontaine vor sieben Jahren den SPD-Vorsitz wegwarf, gestand er damit auch sein Scheitern in der Sache ein. Die Idee, die SPD als Schutzmacht gegen die sozialen Folgen der Globalisierung zu profilieren, wurde nicht nur von Gerhard Schröder überrollt. Lafontaine überschätzte - und überschätzt bis heute - die (national)staatlichen Möglichkeiten im globalen Wettbewerb.
Gerhard Schröder wiederum scheiterte an der Unfähigkeit, seine Idee vom "dritten Weg" der eigenen Partei zu vermitteln. "In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt," heißt es im "Schröder-Blair-Papier" von 1999, der Blaupause für die spätere "Agenda 2010". Der Staat solle "nicht rudern, sondern steuern" - der SPD-Basis ist dieser Ansatz bis heute mehrheitlich fremd geblieben, und entsprechend fremd blieb ihr der Parteichef Schröder.
Franz Müntefering entsprach danach nur habituell der Sehnsucht der Partei nach dem diffus wohligen Gemeinschaftsgefühl traditioneller sozialdemokratischer Milieus. Inhaltlich blieb Müntefering in der Kontinuität der Schröderschen Agenda-Politik und scheiterte zuletzt ebenfalls - vordergründig an einer Personalfrage, tatsächlich wohl eher, weil auch sein rigider Führungsstil den Richtungsstreit in der SPD nicht überdecken konnte.
Matthias Platzeck hatte zu wenig Zeit, um ein eigenes Profil zu entwickeln, und es ist offen, ob er dazu in der Lage gewesen wäre. Was er jedenfalls noch am Wochenende als "Essay" zur Debatte um das SPD-Programm veröffentlichte, ist im Wortsinne ein Versuch geblieben, weitgehend unverbindlich, ohne eigene Überzeugungskraft.
Nun also Kurt Beck. Seine Partei wird es ihm zunächst leicht machen. Der Wunsch nach verläßlicher Führung überlagert derzeit fast alle inhaltlichen Differenzen. So wird man den Mainzer Landesvater mit großer Mehrheit zum Hausvater der SPD küren - und anschließend bemerken, dass die Krise der Sozialdemokratie nicht durch Machtworte und Vertrauensbekundungen auf Parteitagen zu beheben ist.
Schon die Personalpolitik wird Beck vor Probleme stellen. Mit Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück gibt es schon zwei führende SPD-Politiker, denen Ambitionen auf die SPD-Kanzlerkandidatur nachgesagt werden. Der Rückzug Platzecks wird den inoffiziellen Kandidaten-Wettbewerb verschärfen, mit allen Folgen für die innerparteiliche Kursbestimmung.
Noch schwieriger aber ist es, eine Idee zu entwickeln, welche die in ganz unterschiedliche Milieus und Interessengruppen zerfallene Partei wieder einen könnte. Die Regierungsbeteiligung ist für sich weder identitäts- noch mehrheitsstiftend. Der Mangel an Identität aber ist in Wahrheit schon seit den achtziger Jahren das Hauptproblem der SPD. Schröders Wahlkampf um die "neue Mitte" hat einst die Unzufriedenheit über die Stagnation am Ende der Ära Helmut Kohls kanalisiert. Inzwischen sind die Mehrheiten landauf, landab (wieder) verloren. Und die SPD steht nun da, wo sie war, als 1993 der NRW-Patriarch Johannes Rau den Parteivorsitz kommissarisch übernahm. Dieser Rau heißt heute Beck.
Originaltext: Westfälische Rundschau Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=58905 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_58905.rss2
Rückfragen bitte an: Westfälische Rundschau Redaktion Telefon: 0231/9573 1254
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
7339
weitere Artikel:
- Westerwelle erneuert Kritik - "Gazprom ist kein "Mutter- Theresa-Verein". "Was erlauben Strunz" am 10.04.2006, 23:30 Uhr auf N24. Weitere Ausstrahlung: 16.04.06, 10:05 Uhr. Berlin (ots) - Guido Westerwelle hat seine Kritik am Gazprom- Engagement von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) erneuert. In der N24- Sendung "Was erlauben Strunz" sagte der FDP-Chef am Montag, er halte dies für einen einmaligen Vorgang, dass "ein Bundeskanzler außer Diensten, gut bezahlt, auf einem Stuhl jetzt Platz nimmt, den es so, ohne sein Wirken, gar nicht gäbe." Er halte sich an die Vorgabe des Gerichts, eine spezielle Formulierung nicht mehr zu verwenden. Aber er sei "hellauf entsetzt über den gesamten Vorgang", so Westerwelle mehr...
- Neues Deutschland: zum Rücktritt Platzecks vom SPD-Vorsitz und zur Lage der SPD Berlin (ots) - Es ist noch immer Schröders Partei. Die SPD, die jetzt, nach nur fünf Monaten, erneut ihres Vorsitzenden verlustig geht, ist noch kein Stück weiter als an dem Tag, an dem der Bundeskanzler sie mit Tränen in den Augen ihrem Schicksal überließ. Keinen Schritt weiter als nach den Verhandlungen um ihre Weiterbeschäftigung in der Bundesregierung. Juniorpartner der großen Koalition zu sein, beauftragt, die Mission fortzusetzen, die sie sich mit der Agenda 2010 auferlegte, ist die SPD die Partei nicht zwischen Tradition und Moderne, mehr...
- Westerwelle: Unabhängige Kommission soll über Politiker-Bezüge entscheiden "Was erlauben Strunz" am 10.04.2006, 23:30 Uhr auf N24. Weitere Ausstrahlung: 16.04.06, 10:05 Uhr. Berlin (ots) - Die FDP verlangt eine grundsätzliche Reform der Altersversorgung für Politiker. Sie müssten für ihre Altersbezüge wie andere Freiberufler auch selbst komplett vorsorgen, bekräftigte Parteichef Guido Westerwelle am Montag in der N24-Sendung "Was erlauben Strunz". Er regte an, eine unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten solle die Höhe der Bezüge an die Abgeordneten festlegen: "Dann hätte auch dieser Selbstbedienungsvorwurf ein Ende." Zur möglichen Höhe der Gelder wollte sich Westerwelle nicht äußern: mehr...
- Westerwelle zu Platzeck: "Gesundheit geht immer vor" "Was erlauben Strunz" am 10.04.2006, 23:30 Uhr auf N24. Weitere Ausstrahlung: 16.04.06, 10:05 Uhr. Berlin (ots) - Guido Westerwelle hat Matthias Platzeck großen Respekt gezollt. "Gesundheit geht immer vor", so der FDP-Chef in der N24-Sendung "Was erlauben Strunz". Er habe eine Vorstellung davon, wie schwer Platzeck die Entscheidung über den Rücktritt von Amt des SPD-Parteivorsitzenden gefallen sein müsse, sagte er. "Man hängt ja an der Aufgabe, in die man nicht hineingeprügelt wurde, sondern um die man sich ja freiwillig beworben hat." Jeder, der als Parteivorsitzender arbeite, identifiziere sich ja nicht nur mit der Sache, sondern mehr...
- Kieler Nachrichten: Kommentar SPD/Platzeck Kiel (ots) - "Auch wenn hinter den Kulissen das Gemoser schwer zu überhören war: Platzeck war ein Hoffnungsträger. Er stand nach dem Basta-Vorsitzenden Schröder und dessen Statthalter Müntefering für einen neuen, offenen Führungsstil, nach dem sich viele Genossen gesehnt haben. Mit dem Brandenburger verbanden sich auch Hoffnungen auf eine Neuorientierung in Richtung linker Volkspartei, die das eigene Profil stärker hervortreten lässt und den notwendigen Umbau des Sozialstaats in einen klaren sozialdemokratischen Kontext stellt. Dieser mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|