Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema EU
Geschrieben am 14-06-2007 |
Bielefeld (ots) - Die Europäische Union ist aus ihrer Lethargie erwacht. Stillstand und Resignation nach dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden sind Vergangenheit. Kanzlerin Angela Merkel darf sich zurechnen, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft maßgeblich dazu beigetragen zu haben. Mit Nicolas Sarkozy und George Brown stehen in Frankreich und Großbritannien zwei Männer in den Startlöchern, die Angela Merkel zum Ende ihrer Präsidentschaft dabei helfen werden, der EU per Verfassung eine neue Handlungsgrundlage zu geben: Damit soll die politische Funktionsfähigkeit der 27-Staaten-Union in der Zukunft gesichert werden. Zumindest einen Fahrplan für die Verabschiedung einer Verfassung will die Kanzlerin beim EU-Gipfel in der kommenden Woche erreichen. Gelingt es nicht, wäre dies ein schwerwiegender Rückschlag für das weitere Zusammenwachsen Europas. Eine Mehrheit der EU-Staaten hat bereits klargestellt, dass eine Erweiterung der EU etwa durch Serbien oder Kroatien ohne eine neue Verfassung für sie nicht in Frage kommt. Den schwersten Brocken auf dem Weg zu einer Verfassung hat Angela Merkel fast direkt vor der Haustür. Das Polen der Kaczynski-Zwillinge fordert eine stärkere Position des Landes in der EU und will den Einfluss des großen Nachbarn Deutschland schwächen. Danach soll in der Verfassung verankert werden, das künftig nicht die Einwohnerzahl die Stimmgewichtung eines Landes bestimmt, sondern die Quadratwurzel aus dieser Zahl. Dies würde Polen in der EU stärken, der Einfluss des westlichen Nachbern schwächen. Polen steht mit dieser Forderung in der EU völlig allein da. Aber ein Nein der polnischen Regierung zum Fahrplan bis zum Ziel Verfassung könnte alles blockieren. Die Haltung gegenüber einem starken Deutschland lässt sich aus der leidvollen Geschichte Polens erklären. Die Teilungen des Landes im 18. Jahrhundert und die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg sind Ereignisse, die sich tief in die Erinnerungen dieses Volkes eingegraben haben. Die Polen wollen endlich als gleichwertiger Partner anerkannt werden. Dieses tief sitzende Misstrauen abzubauen, ist nicht nur Aufgabe einer deutschen Regierung, sondern auch der anderen Partner in der EU. So hat Frankreichs Staatspräsident Sarkozy die Kaczynski-Zwillinge davor gewarnt, nationale Interessen über europäische Interessen zu stellen. Ohne Kompromisse gäbe es kein vereintes Europa. Polen ist Nutznießer der Union. Das Land ist größter Nettoempfänger in der EU und kassiert jedes Jahr Milliarden aus Brüssel. Deutsche Regierungen haben seit dem Sieg der Demokratie in Polen maßgeblich dazu beigetragen, dem Land den Weg in die Union zu ebnen. Dass Staatspräsident Lech Kaczynski jetzt auf eine Kompromisslinie einschwenkt, zeigt, dass die Warschauer Führung die Kräfteverhältnisse in der EU wieder realistisch einschätzt. Ein seriöser Kompromiss würde die Stellung Polens stärken, nicht schwächen.
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