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WAZ: Neuer türkischer Präsident Gül: An den Taten messen - Leitartikel von Hendrik Groth

Geschrieben am 29-08-2007

Essen (ots) - Sich Sorgen zu machen, ist per se keine schlechte
Charaktereigenschaft. Auch sind kritische Einwände oft eher
konstruktiv und keine Anzeichen von Ignoranz, Panikmache oder im
Falle der Türkei von Abgrenzung. Der erste Versuch, den
konservativ-islamischen AKP-Politiker Abdullah Gül zum Präsidenten zu
küren, stürzte die Türkei im Frühjahr in eine Krise. Jetzt ist Gül
Staatschef und die Resonanz auf seine Wahl ist positiv, sowohl im In-
wie im Ausland. Vor einem halben Jahr drohte noch das Chaos, nun
winkt Wohlstand und weitere Demokratisierung. Und dies trotz des
Kopftuches der Präsidentengattin.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das alte Establishment
in der Türkei abgewirtschaftet hat. Die Armee hat mit
Erpressungsversuchen ihren Zenit überschritten und die säkularen
Parteien haben nicht viel zu Stande gebracht. Die Kemalisten, die
sich auf Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk berufen, zeichneten sich
durch destruktive Agitation aus. Weil kein Vorwurf an Gül haften
blieb, musste eben das Kopftuch seiner Frau als Symbol für den
vermeintlichen Ausverkauf der kemalistischen Werte dienen. Viel half
das nicht. Auf die Massendemonstrationen gegen Regierungschef Tayyip
Erdogan und Gül folgte ein überzeugender Wahlsieg der AKP.

Dass Gül nicht der verkappte Islamist mit einem düsteren
Geheimplan zur Einführung der Scharia ist, lässt sich auch aus seinem
persönlichen Verhältnis zu Außenminister Frank-Walter Steinmeier
ableiten. Steinmeier, gewiss kein Mann naiven Denkens, dankte seinem
Duzfreund Gül für die jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit und
setzt auf die Zukunft. Wenig deutet darauf hin, dass sich Steinmeier
irrt. Gül und Erdogan wollen im Gegensatz zu den alten Eliten den
EU-Beitritt der Türkei. Sie wissen, dass dies nur mit weiteren
Reformen und mit mehr Demokratie geht.

Die kommenden Jahre wird die Türkei unter genauer Beobachtung von
EU und Nato stehen. Sollte die AKP die Hoffnungen der Menschen nicht
erfüllen können, dann wird sie abgewählt werden. Ein EU-Beitritt ist
dann Illusion. Hier zu Lande wird darauf hingewiesen, dass der Islam
gesellschaftspolitisch dringend einer Modernisierung bedürfe, dass
Europa sich über Jahrhunderte Freiheitsrechte schwer erkämpft habe.
Wer dies stützt, der muss den neuen Präsidenten, wie den weiterhin
viel mächtigeren Premier Erdogan, beim Wort nehmen und sie an ihren
Taten messen. Denn sich auf die Religion berufende, erfolgreich
regierende Konservative gibt es nicht nur in der Türkei, es gibt sie
auch in Bayern.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
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Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de


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