Norbert Orwell 2010: "zusätzliche Sicherheitsstufe" für Atomkraftwerke entpuppt sich als Sicherheitsrabatt
Geschrieben am 29-09-2010 |
Berlin (ots) - Pressemitteilung
AtG-Novelle zur Flankierung der Laufzeitverlängerung verwässert
Sicherheitsmaßstab und schränkt Klagerechte von Betroffenen ein -
Neuer Paragraph 7d durchlöchert "bestmögliche Schadensvorsorge" und
schützt AKW-Betreiber vor teuren Nachrüstungen - "Handschrift" des
früheren E.on-Managers und heutigen Abteilungsleiters
Reaktorsicherheit im BMU - DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake:
"Eine Gesetzesnovelle von der Atomlobby für die Atomlobby"
Mit einem perfiden Gesetzestrick will die Bundesregierung die
Sicherheitsbestimmungen des Atomgesetzes verwässern und gleichzeitig
die Klagerechte betroffener Bürger einschränken. Darauf hat die
Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hingewiesen und den für
Reaktorsicherheit verantwortlichen Bundesumweltminister Norbert
Röttgen (CDU) scharf kritisiert. Röttgen hatte sich am Dienstag nach
der Kabinettssitzung zum wiederholten Mal damit gebrüstet, mit der
zuvor beschlossenen Änderung des Atomgesetzes (AtG) wolle die
Bundesregierung eine "zusätzliche Sicherheitsstufe" einziehen.
Tatsächlich werde mit der Einführung eines neuen Paragraphen 7d in
das AtG in für Laien schwer zu entschlüsselndem Juristendeutsch genau
das Gegenteil bezweckt.
"Wir erleben eine Sprachverdrehung von wahrhaft Orwellscher
Dimension, mit dem klaren Ziel die AKW-Betreiber vor teuren
Sicherheits-Nachrüstungen zu schützen", erklärte
DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Bundesumweltminister Norbert
Röttgen versuche seit Tagen den Eindruck zu erwecken, der neue
Paragraph 7d ("Weitere Vorsorge gegen Risiken") bewirke, wie schon
die Überschrift suggeriere, ein "Mehr" an Sicherheit in alternden
Atomkraftwerken, die nach dem Willen der Bundesregierung bis zu 50
und mehr Jahren laufen sollen. In Wahrheit werde jedoch erstmals der
seit Jahrzehnten unangetastete hohe Sicherheitsmaßstab des
Atomgesetzes verwässert. Außerdem sollen Klagerechte betroffener
Bürger wieder abgeschafft werden, die diese erst vor zwei Jahren nach
jahrelangen Auseinandersetzungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
erstritten hatten. "Nach dem so genannten Geheimvertrag zur
Gewinnabschöpfung bereitet die Bundesregierung jetzt einen weiteren
Coup vor. Mit ihm soll Anwohnern von Atomanlagen das mühsam
erstrittene Recht, einen wirksamen Schutz gegen mögliche
terroristische Attacken einklagen zu können, durch die Hintertür
wieder genommen werden", kritisierte Baake.
Nach dem geltenden Atomgesetz sind die Betreiber von
Atomkraftwerken von jeher zu einer dynamischen Anpassung der
Sicherheitsvorkehrungen an aktuelle Entwicklungen und neu erkannte
Risiken verpflichtet, erläuterte die Leiterin Klimaschutz und
Energiewende der DUH, Rechtsanwältin Cornelia Ziehm. Das so genannte
"Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes" wurde bereits in den
1970er Jahren vom Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden
Kalkar-Urteil bestätigt und ist seither unbestritten. Das heißt, die
Betreiber der Atomkraftwerke sind auf der Grundlage des Standes von
Wissenschaft und Technik stets zur bestmöglichen Schadensvorsorge
verpflichtet, die Sicherheitsbehörden können auf dieser Grundlage
kontinuierlich Nachrüstungen fordern und durchsetzen. Die
"bestmögliche Vorsorge" umfasst dabei alles, bis auf Risiken, die
nach dem Maßstab praktischer Vernunft auszuschließen sind. Das
bisherige Atomrecht kennt also zwei Kategorien, zum einen die
einklagbare "bestmögliche Vorsorge" und zum anderen das hinnehmbare
so genannte Restrisiko.
Vor diesem Hintergrund ist es sowohl begrifflich wie auch
inhaltlich eigentlich unmöglich, zusätzlich zwischen der gebotenen
"bestmöglichen" Vorsorge und dem hinnehmbaren Restrisiko eine neue
Kategorie der "weiteren Vorsorge" definieren zu wollen. Mit dem
gestrigen Kabinettsbeschluss soll den Reaktorsicherheitsbehörden die
Möglichkeit eröffnet werden, Maßnahmen, die bisher in den Bereich der
"bestmöglichen Vorsorge" eingestuft wurden, einer Überprüfung zu
entziehen und der "weiteren Vorsorge" zuzuordnen. Es gab und gibt
jedoch keine gesetzgeberische Lücke und mithin auch keinen Grund sie
zu füllen. Mit dem neuen § 7d sollen die Betreiber nach der eigenen
Begründung der Bundesregierung auch keineswegs zur Vorsorge gegen
Schäden verpflichtet werden, die bislang dem Restrisiko zugeordnet
wurden. Ziehm: "Das Gegenteil ist der Sinn der Übung. Das nennen wir
eine perfide Strategie".
Sollte das Parlament die von der Bundesregierung vorgeschlagene
Atomgesetznovelle, insbesondere die Neuregelung in § 7d, tatsächlich
verabschieden, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf künftige
Klagemöglichkeiten von Anwohnern. Würden beispielsweise betroffene
Bürger gegen alte, besonders schlecht gegen gezielte Flugzeugabstürze
geschützte Atomkraftwerke klagen und die bestmögliche
Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik
einfordern, könnte die Atomaufsicht das Risiko problemlos dem neuen §
7d zuordnen. Den Klagewilligen würde ihr Hinweis auf die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008, wonach seit dem
terroristischen Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon
am 11. September 2001 solche Risiken nicht mehr dem "Restrisiko"
zuzuordnen seien, nicht weiterhelfen. Denn § 7d würde den Bürgern
jedes Klagerecht entziehen, die Gerichte müssten die Klage schon aus
formalen Gründen abweisen. Im Übrigen wären die Sicherheitsbehörden
völlig frei zu entscheiden, ob die AKW-Betreiber überhaupt
zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen müssen oder welche "geeignet
und angemessen" wären, da der Stand von Wissenschaft und Technik
nicht mehr gelten und er auch nicht durch andere gesetzliche Maßstäbe
oder die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle ersetzt würde.
Nach Überzeugung der DUH trägt die AtG-Novelle die Handschrift des
im federführenden Bundesumweltministerium hauptzuständigen
Abteilungsleiters und früheren E.on-Managers Gerald Hennenhöfer.
Baake: "Der ganze Vorgang ist skandalös. Zur Abstimmung im Bundestag
steht eine Gesetzesnovelle von der Atomlobby für die Atomlobby."
Anhang: Rechtliche Bewertung des von der Bundesregierung geplanten
neuen § 7d AtG
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2400
Originaltext: Deutsche Umwelthilfe e.V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/22521
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_22521.rss2
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin; Mobil: 0151 55016943, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail:
baake@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0160 94182496; Tel.: 030 2400867-0,
E-Mail: ziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin, Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail:
rosenkranz@duh.de
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