(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: Ein Jahr, das uns in die Pflicht nimmt - Leitartikel

Geschrieben am 30-12-2010

Berlin (ots) - Bisher war es ja immer so, dass das nächste Jahr
schon irgendwann im November begann. Da fischte man einen
schmucklosen Recycling-Umschlag aus dem Briefkasten. Darin lag dann
die neue Lohnsteuerkarte. Man war also ganz gut vorbereitet, konnte
sich rechtzeitig überlegen, was man mitnehmen wollte in die neue
Zeit. Und was man lieber zurückließ in der alten. Rückblicke,
Vorsätze. Die gute alte, nüchtern-grußlose Post vom Amt verschaffte
einen gewissen Spielraum. Insofern trifft uns der heutige Tag schon
ein bisschen überraschend. 2011 wird das erste Jahr ohne
Lohnsteuerkarte. Machen wir was draus. Überlegen wir nicht lange und
verknotet, was gut war und was schlecht, sondern nehmen den
winterkalten Wechsel gleich von vorn und machen es besser als
zuletzt. Grüßen den Nachbarn wieder, räumen den Gehweg auch in der
fünften Schneewoche ohne langes Murren und verbringen eine Stunde
mehr bei Oma oder bei der alten Tante Klara, die sich immer so freut,
wenn mal einer vorbeischaut. Und die das trotzdem gar nicht zeigen
kann, weil die Jahre so gezehrt und gezerrt haben an den Nerven, am
Gemüt. Es lohnt womöglich gerade deshalb, ihr zuzuhören, etwas zu
lernen aus dem Vergangenen und etwas mitzunehmen in die Zukunft. Denn
bei aller Nörgelei: Was Oma und Tante, was Opa und Onkel zustande
gebracht haben in ihrer Lebensarbeitszeit, das ist ab und zu einen
Umweg wert auf dem Weg in den Feierabend oder ins Wochenende. Die
Alten, die Rentner von heute, haben schließlich was vorzuweisen: Sie
sind die erfolgreichste Generation, die dieses Land je hervorgebracht
hat. Wirtschaftswunder, Wachstum, Wohlstand. Und ihr größtes
Verdienst: Deutschland nicht wieder in einen Krieg, sondern zurück
zur Einheit geführt zu haben. In Freiheit, ohne Blut zu vergießen.
Das war ja so nicht abzusehen vor jetzt bald 50 Jahren, beim
Mauerbau. Man sollte das also bedenken im neuen Jahr, wenn man mal
wieder über die Versäumnisse der zurückliegenden Jahrzehnte klagt,
über Schuldenberge, Umweltsünden und Gesundheitskosten. Deutschland
als ganz normales und hoch angesehenes Mitglied der
Völkergemeinschaft - das war eben kein Selbstläufer, das war eine
Glanzleistung. Wir, die Generation, die jetzt in der Verantwortung
steht, müssen uns erst noch beweisen. Die zentrale Herausforderung
kennen wir inzwischen. Die europäische ist im Gegensatz zur deutschen
Einheit immer noch ein äußerst wackliges Projekt. Die aktuelle
Debatte um den Euro, unser Hang zur Abgrenzung und der latente Mangel
an Demut und Verantwortungsbewusstsein - nicht nur in Deutschland -
sind Zeichen dieser unangenehmen, letztlich gefährlichen politischen
Labilität. Deshalb ist jeder Cent und jede Mühe, die in die
europäische Einigung fließen, ein Investment in die Zukunft unserer
Kinder, ein wertes Gegenstück zur Verschuldung der Gegenwart, die ja
zu Lasten der folgenden Generationen geht. 2011 muss deshalb ein
europäisches Jahr werden, eines, in dem aus der wunderbaren Vielfalt
dieses Kontinents wieder gemeinsame Stärke destilliert werden kann.
Wir brauchen diese Kraft, gerade in einem globalen Umfeld, das
ökonomisch und kulturell auch in Zukunft nicht durchweg einen zivilen
Umgang miteinander pflegen wird. Wir, hier in Deutschland erst recht,
sind in der Pflicht.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

308591

weitere Artikel:
  • Ostthüringer Zeitung: Kommentar Ostthüringer Zeitung Gera Gera (ots) - Ostthüringer Zeitung Gera zu Wirtschaft und Winter: Kaum fällt der erste Schnee, warnen Wirtschaftsverbände vor Umsatzeinbußen und rechnen flugs aus, wieviel die weiße Pracht der Industrie kostet. Drei Milliarden Euro Verluste könnte - könnte! - der Winter die deutsche Industrie bisher gekostet haben, rechnete der Industrie- und Handelskammertag kürzlich aus. Soll Väterchen Frost etwa dafür haftbar gemacht werden? Denn nicht der Winter, sondern die Industrie - und mit ihr die Politik, die gesetzliche Grundlagen dafür mehr...

  • Trierischer Volksfreund: Politische Bilanz 2010 - Leitartikel Trierischer Volksfreund, 31.12.2010 Trier (ots) - 2010 hat nicht nur der Anspruch gelitten hat, das Primat der Politik könne sich doch noch irgendwie gegen die globalen Märkte durchsetzen. Sondern es wurde auch die Hoffnung zerstört, es könne noch Politiker geben, die das überhaupt wollen. Wie viele freiwillige Rücktritte gab es allein in Deutschland, all die Kochs und von Beusts? Von Horst Köhler gar nicht zu reden, der wegen einer Laune hinwarf. Natürlich, wenn man über den Tellerrand hinausblickt, sind wir noch gut dran, selbst mit unserer in ihrer zweiten mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Gemeindefinanzierung Bielefeld (ots) - Niemand hat in Düsseldorf angeordnet: CDU-Gemeinden auf dem Land müssen bluten, rot-grüne Großstädter sollen für ihre Wählerstimme etwas zurückbekommen. So einfach funktioniert Politik nicht - schon gar nicht das komplizierte Geflecht von Verteilungs- und Verrechnungsfaktoren, mit denen das Land Städte und Gemeinden am Steueraufkommen beteiligt. Dabei ist das Ergebnis vom jüngsten Dreh an einer der verwirrend vielen Stellschrauben eindeutig. Die Großen gewinnen zulasten der Kleinen. Tatsächlich wurde der Schieberegler mehr...

  • Lausitzer Rundschau: Schnee, Freud und Leid Außer Winter - was das Jahr sonst noch brachte Cottbus (ots) - Das Jahr geht zu Ende, wie es angefangen hat. Schnee, Schnee, Schnee. Also mit Freud und Leid gleichermaßen. Der eine genießt es, der andere kommt nicht aus der Parklücke. So ist es dann auch weitergegangen im abgelaufenen Jahr, Freud und Leid immer dicht beieinander. Während die sächsische Landesregierung weitgehend skandalfrei blieb, kann Potsdam seine Leidgeschichten vornehmlich unter dem Buchstaben S abheften: Mit dem unappetitlichen Thema Stasi musste sich die rot-rote Regierung schon 2009 herumschlagen und es mehr...

  • Rheinische Post: Politische Strafe Kommentar Von Godehard Uhlemann Düsseldorf (ots) - Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht politische Absichten hinter dem Urteil gegen Michail Chodorkowski. Eine solche Einschätzung ist der Bundesregierung nicht leicht gefallen. Immerhin will sie das Verhältnis zu Moskau ausbauen. Die Wirtschaftskontakte sollen intensiviert und die Beziehungen zur EU und zur Nato partnerschaftlicher gestaltet werden. Da passt ein Rückschritt im russischen Rechtswesen nichts ins Konzept. Gerichte, die von der Exekutive nicht gänzlich abgenabelt sind, sind keine Orte, an denen man mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht