BERLINER MORGENPOST: Die Türkei sucht den Eklat mit Israel - Leitartikel von Clemens Wergin
Geschrieben am 02-09-2011 |
Berlin (ots) - Es ist die türkische Außenpolitik, wie wir sie in
den vergangenen Jahren kennengelernt haben: Wenn es um Israel geht,
neigt die Regierung von Recep Tayyip Erdogan zu wohlkalkulierten
Wutausbrüchen. Nun wurde gar der israelische Botschafter ausgewiesen.
Auslöser der Krise ist ein UN-Bericht über das israelische Aufbringen
der Gaza-Flottille Ende Mai 2010, bei dem neun Menschen starben. Der
Bericht kritisiert zwar das Vorgehen der israelischen Soldaten auf
der "Mavi Marmara", stellt sich aber in vielen anderen Punkten auf
die Seite Israels. Die Blockade Gazas sei legal und angemessen.
Israel habe die Blockadebrecher auch in internationalen Gewässern
abfangen dürfen. Außerdem werden Zweifel angemeldet an dem
Organisator der Flotte, der islamistischen IHH, die Kontakte ins
türkische Regierungslager unterhält. Ankara hätte auch mehr tun
können, um die Eskalation zu verhindern. Das ist eine Ohrfeige für
die Türkei von einer Organisation, die nicht als Freund Israels
bekannt ist. In Ankara verlangt man seit Wochen ultimativ eine
Entschuldigung von Israel, was Jerusalem verweigert. Der UN-Bericht
empfiehlt Israel, "angemessenes Bedauern" über die türkischen Toten
auszudrücken. Das hat Regierungschef Benjamin Netanjahu getan und
Bereitschaft zur Entschädigung signalisiert. Deshalb ist die von
Ankara betriebene Eskalation inakzeptabel, und es wäre wünschenswert,
wenn dies auch von der Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht
werden würde. Es stünde auch dem Bundestag gut an, seine
unausgewogene Gaza-Resolution zu überdenken, die in Teilen vom
UN-Bericht widerlegt wird. Es war das erste Mal in der
Nachkriegszeit, dass sich alle Parteien auf einen gemeinsamen
Beschluss einigen konnten. Es handelt sich nicht um ein Ruhmesblatt
der deutschen Parlamentsgeschichte. Man darf jedenfalls erwarten,
dass der Bundestag nicht weniger Verständnis für Israels Sicherheit
aufbringt als die UN und mehr vom Völkerrecht versteht als in der
Resolution zum Ausdruck kommt. Sie ist auch ein Beleg für schwindende
außenpolitische Expertise im Parlament. Erdogans versucht nun erneut,
mit antiisraelischen Tönen um Sympathien in der arabischen Welt zu
werben. Angesichts der engen Kontakte, die die Türkei noch bis vor
Kurzem etwa zum libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi und seinem
syrischen Kollegen Baschar al-Assad unterhielt, ist das ein leicht
durchschaubarer Schachzug aus dem Handbuch arabischer Autokraten.
Sicher, auch Israel hat in den letzten Jahren viele Fehler gemacht,
die zu einer Entfremdung beider Länder beigetragen hat. Aber Europa
sollte sich nichts vormachen: Die Eklats, die Erdogan mit Israel
sucht, sind Teil einer strategischen Neuorientierung. Die Türkei
definiert sich immer mehr als islamisches und immer weniger als
westliches Land. Und Europa und die USA schauen meistens nur zu und
hoffen, es möge nicht gar so schlimm werden. Dabei tritt die Türkei
besonders in Nah- und Mittelost oft nicht mehr als Partner, sonders
als Konkurrent des Westens auf. Es wird langsam Zeit, nicht mehr nur
als bloßen Betriebsunfall zu werten, was tatsächlich ein allmählicher
Abschied der Türkei vom Westen ist.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
350288
weitere Artikel:
- Mitteldeutsche Zeitung: zu Ost-Erfahrungen Halle (ots) - Der ostdeutsche Erfahrungsvorsprung, von dem gestern
bei der Linkspartei die Rede war, ist keine Erfindung der
Linkspartei. CDU-Politiker haben ihn längst ebenfalls unterstrichen.
Dass sich dieser ostdeutsche Erfahrungsvorsprung gesamtdeutsch oft
nicht ausreichend Gehör verschaffen kann, hat im Wesentlichen zwei
Gründe. Erstens gibt es weit mehr West- als Ostdeutsche - was immer
noch viel zu wenige Westdeutsche dazu bringt, sich mit den hiesigen
Verhältnissen auseinanderzusetzen. Zweitens gibt es zu wenige, die
eine mehr...
- Mitteldeutsche Zeitung: zu AOK und Kassenärzte Halle (ots) - Die Vorwürfe des AOK-Bundesverbands gegen die
niedergelassene Ärzteschaft haben es in sich. Leistungen im Wert von
vier Milliarden Euro würden die Mediziner durch zu geringen
Arbeitsaufwand ihren gesetzlich versicherten Patienten jährlich
vorenthalten. Ein Skandal? Die Berechnungen der AOK, die eine zu
erbringende Wochenarbeitszeit von 51 Stunden für Kassenpatienten vom
"durchschnittlichen kalkulatorischen Arztlohn" abgeleitet hat, stehen
auf tönernen Füßen. Tausende Ärzte arbeiten nicht selten nach
Überschreiten des mehr...
- Mitteldeutsche Zeitung: zu Baumängeln in Polizeirevieren Halle (ots) - Wer unter Zuständen, wie sie im Magdeburger
Polizeirevier herrschen, noch immer täglich ins Büro geht, muss
entweder eine hohe Leidensfähigkeit oder eine besondere Liebe zum
Beruf besitzen. Oder beides. Genau so unvorstellbar wie die
Arbeitsbedingungen nicht nur im Revier Magdeburg ist aber auch die
Unfähigkeit der Landesverwaltung, für Hilfe in der katastrophalen
Situation zu sorgen. Nein, es fehlte in den vergangenen Jahren nicht
an Geld. Dass dem nicht so ist, lässt sich an zweifelhaften
öffentlichen Bauvorhaben mehr...
- Ostsee-Zeitung: Kommentar zu Schäubles EU-Ideen Rostock (ots) - Als Kohl, Waigel und Schäuble in den 90er Jahren
gemeinsam mit ihren Partnern daran gingen, den Euro auf den Weg zu
bringen, da war das Ziel nicht nur ein gemeinsamer Währungsraum,
sondern eigentlich ging es um die Vertiefung der politischen Union.
Man ist seinerzeit mit diesem Vorhaben kläglich gescheitert und
hoffte, der Euro werde schon irgendwie die Union voranbringen. Heute
versuchen die Regierenden, mit immer neuen Rettungsschirmen die Krise
in den Griff zu bekommen. Vermutlich gibt es zum angestrebten
Rettungsmechanismus mehr...
- WAZ: Frischer Wind. Kommentar von Wilfried Goebels Essen (ots) - Die "Vergreisung" in den Lehrerkollegien ist
gestoppt, NRW hat in den vergangenen zehn Jahren trotz leerer Kassen
kräftig in junge Lehrer investiert. Anlass war nicht nur die mächtige
Pensionierungswelle: Mit dem Ganztag, Inklusion und Integration
stehen die Schulen vor gewaltigen Aufgaben. Dafür braucht das System
Lehrkräfte.
Angesichts des Schülerrückgangs aber wird der Einstellungsboom in
den nächsten Jahren abebben. Kleine Klassen, Differenzierung und
individuelle Förderung sind notwendig, müssen aber auch bezahlbar mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|