"DER STANDARD"-Kommentar zur Schuldenbremse: "Gefahr des
Totalschadens" von Gerald John
Geschrieben am 09-11-2011 |
Ausgabe vom 10.11.2011
Wien (ots) - Still und leise hat Werner Faymann beim Eurogipfel im
Oktober der europaweiten Einführung zugestimmt. Also muss die
Kanzlerpartei nun umsetzen, was sie vor kurzem für unnötig bis
gefährlich gehalten hat: eine gesetzlich verankerte Schuldenbremse.
Die Regierung will sich damit quasi vor sich selbst schützen:
Ausgabenlimits sollen verhindern, dass Politiker Geld beim Fenster
hinauswerfen. Die Idee klingt löblicher, als sie ist. In guten Zeiten
ist Selbstkasteiung tatsächlich ratsam, doch von diesen kann Europa
derzeit nur träumen - und in Krisenzeiten können falsch konfigurierte
Schuldenbremsen einen Totalschaden provozieren.
Nicht auszudenken, hätte sich die Regierung vor drei Jahren an eine
starr von der Verfassung diktierte Schuldengrenze gehalten.
Langwierig hätte sie um Stimmen der Opposition ringen müssen, um die
Regeln verletzen zu dürfen - oder eben auf Konjunktur_- und
Bankenpakete verzichtet. Die Folgen wären fatal gewesen. Dass sich
kriselnde Staaten, die auf eisernes Sparen setzen, nur noch tiefer in
eine Misere manövrieren, hat sich in Griechenland einmal mehr
leidvoll bestätigt.
So brutal muss eine Schuldenbremse nicht zwangsläufig wirken. Jeder
versteht unter dem Label etwas anderes, entsprechend groß ist der
Ausgestaltungsspielraum. Nichts spricht etwa dagegen, dass die
Koalition den Ländern nun eine transparente Finanzplanung
vorschreiben will, wie sie für den Bund längst üblich ist.
Entscheidend sind die konkreten Mechanismen: Wie weit wird das
Korsett im Fall der Krise gelockert? Bekommt eine Regierung genug
Freiraum, um rasch genug auf Wirtschaftseinbrüche zu reagieren?
Der Vorschlag aus dem Finanzministerium lässt da Zweifel offen - und
trifft eine Festlegung, die nur ideologisch begründbar und potenziell
schädlich ist. 75 Prozent der Budgetkonsolidierung sollen durch
Ausgabenkürzungen erfolgen, heißt es im Erstentwurf (mittlerweile
wurde die Zahl offenbar wieder gestrichen). Ein derartiges Präjudiz
würde künftige Finanzpolitiker an die kurze Leine legen.
Wichtiger als demokratisch und ökonomisch heikle Selbstbeschränkungen
wäre eine "Schuldenbremse" an ganz anderer Stelle: Wollen Europas
Politiker künftige Budgetkatastrophen verhindern, dann müssen sie die
strenge Regulierung von Banken und Finanzmärkten durchsetzen. Denn
diese haben den Schuldensprung der letzten Jahre verursacht - und
nicht der Sozialstaat.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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