WAZ: Entmündigt. Kommentar von Christian Kerl
Geschrieben am 15-04-2012 |
Essen (ots) - Mit diesem Vorstoß haben sich Union, FDP und SPD im
Bundestag keinen Gefallen getan: Ihr Plan, Abweichlern in den eigenen
Reihen das Rederecht zu beschneiden, hätte zwar im parlamentarischen
Alltag nur begrenzte Auswirkungen, weil Dissidenten mit
Erklärungsdrang schon jetzt die große Ausnahme sind. Aber es geht ums
Prinzip.
Wer so wie Schwarz-Rot-Gelb die freie Debatte einschränken will,
der verstößt nicht nur gegen den Geist des Parlamentarismus, er
schadet auch dem Ansehen des Bundestags. Die parlamentarische
Demokratie lebt von der Debatte. Die ist unter der Reichstagskuppel
ohnehin ritualisiert und entsprechend berechenbar. Sicher, es kann
nicht jeder zu allem reden, sonst legt sich der Bundestag selbst
lahm. Ein Parlament mit über 600 Abgeordneten braucht Fraktionen, die
Entscheidungen vorbereiten und verlässliche Mehrheiten organisieren -
der Konflikt mit der Unabhängigkeit des Abgeordneten ist in der
Praxis unausweichlich. Aber auf die richtige Balance kommt es an. Der
jetzt geplante Maulkorb würde dem Parlament schaden. Gut, dass
Präsident Lammert sich zur Wehr setzt. Noch besser wäre es, der
Bundestag stellte sich gegen seine Entmündigung.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 - 804 6519
zentralredaktion@waz.de
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