"DER STANDARD"-Kommentar: "Merkel macht's vor"
von Alexandra Föderl-Schmid
Geschrieben am 26-09-2012 |
Eine Reform des Parlamentarismus nach deutschem Vorbild ist
fällig - Ausgabe vom 27.9.2012
Wien (ots) - Alle dürfen sich bestätigt fühlen: Der
parlamentarische Untersuchungsausschuss läuft so weiter wie erwartet.
Ein Zeuge nach dem anderen sagt ab. Schulschwänzer lassen sich
originellere Gründe einfallen. Dass plötzlich unaufschiebbare
Auslandsreisen anstehen und der einstige FP-Minister und
Asfinag-Manager Mathias Reichhold auf seinem Hof gleich mehrere
Wochen im Ernteeinsatz unabkömmlich ist, macht den Ausschuss zur
Farce. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) scheint langsam
zu dämmern, welchen Schaden der Parlamentarismus dadurch nimmt. Warum
nutzt man nicht alle Mittel aus und lässt Zeugen vorführen, notfalls
von der Polizei? Ansonsten lassen sich die Parlamentarier verhöhnen.
Dass keine Akten mehr zu bereits behandelten Untersuchungsthemen ins
Parlament geliefert werden dürfen, bestätigt, was ohnehin alle
wissen: Der Ausschuss soll möglichst rasch und ohne weiteren
Erkenntnisgewinn abgedreht werden. Es könnte ja noch etwas zum
Vorschein kommen, wenn man noch einmal nachschaut oder nachfragt.
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Deutschland:
Bundeskanzlerin Angela Merkel erscheint heute, Donnerstag, vor dem
parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Es geht wie bei
Bundeskanzler Werner Faymann um ihre Tätigkeit in einem Ministeramt.
In dem Ausschuss soll unter anderem geklärt werden, auf welcher
Grundlage sich die CDU-Politikerin als damalige Umweltministerin 1996
trotz fehlender Salzrechte für eine Weitererkundung Gorlebens als
Atommüll-Endlager ausgesprochen hat. Die Opposition meint, dass es
Versuche von politischer Einflussnahme gegeben habe. Das Besondere
an dem Auftritt? Es gibt keine Diskussion darüber. Für die
Regierungschefin, die Abgeordneten und die deutschen Medien ist es
ein Akt der Selbstverständlichkeit, dass Regierungsmitglieder vor
einem Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen. Berichtet wurde im
Vorfeld lediglich, dass von CDU/CSU und FDP eine Anfrage des
TV-Senders Phoenix nach Live-Übertragung - wie etwa bei der Aussage
von Ex-Außenminister Joschka Fischer - abgelehnt wurde. Die
Berichterstattung von Journalisten ist aber nicht eingeschränkt.
Dieses Selbstverständnis, die Gewaltenteilung in einer Demokratie zu
achten, gibt es in Österreichs Politik nicht. Die Einrichtung eines
Untersuchungsausschusses sollte hier genauso selbstverständlich ein
Minderheitenrecht sein wie die Anforderung von Akten. Im derzeitigen
System kann sich immer die Mehrheit (= Regierung) gegen die
Minderheit (= Opposition) durchsetzen. Ein Verstoß gegen das Gebot
der Gewaltenteilung ist auch das sogenannte Weisungsrecht der
Justizministerin oder des -ministers, das die Unabhängigkeit von
Staatsanwälten einschränkt. Bei einem Generalstaatsanwalt wie in
Deutschland gäbe es keine Debatten über parteipolitischen Einfluss.
Durch die Auskunftsverweigerung des Kanzlers und das erbärmliche
Schauspiel rund um den Ausschuss ist die Demokratie in Österreich
beschädigt worden. Wie Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol (VP) im
Standard-Montagsgespräch sagte, könnte ein U-Ausschussmodell nach
deutschem Vorbild kurzfristig beschlossen werden. Das wäre
Schadensbegrenzung und ein Beispiel für lebendigen Parlamentarismus.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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