Mittelbayerische Zeitung: Süßes gegen Saures
Geschrieben am 08-11-2012 |
Regensburg (ots) - Von Stefan Stark
Die Amerikaner haben's schwer. Einen Tag vor der Wahl wissen sie
noch nicht, wer ihr nächster Präsident sein wird. Wir wissen das
schon seit fünf Jahren." Mit diesem spöttischen Vergleich mokierte
sich ein chinesischer Internet-Nutzer über den Führungswechsel in
Peking. Treffender lässt sich über das demokratische Vakuum im
kommunistisch-kapitalistischen Zwitterreich kaum spotten. Denn
während in freiheitlichen Staaten die Bürger ihre Regierungen wählen,
tut das im bevölkerungsreichsten Land der Erde ein erlauchter Kreis
von abgehobenen Parteifunktionären. Dort werden die Führer von Staat
und Partei lange vor ihrer Krönung auserwählt und jahrelang auf ihre
künftigen Aufgaben vorbereitet - so wie die Kaiser von China einst
ihren Erstgeborenen dem Volk als künftigen Herrscher präsentierten.
Es gibt einen guten Grund, warum dieser Artikel mit den Sätzen eines
Regimekritikers aus dem Reich der Mitte beginnt: Die Schärfe
sarkastischer Witze über die eigene Regierung kann ein hervorragender
Gradmesser für die politische Stimmung im Land sein - ebenso wie die
Angst der Machthaber, dass solche Witze weitererzählt werden. Die
kommunistischen Herrscher fürchten Meinungsfreiheit. Sie erzittern
davor, dass die Wahrheit über krasseste soziale Ungerechtigkeiten,
eine käufliche Justiz und korrupte Parteikader öffentlich kursiert.
Deshalb zensieren sie wie verrückt selbst das komplette Internet. Nur
selten gelingt es einem Aktivisten, eine Lücke zu finden. Und wenn
doch, muss er anonym bleiben. Sonst findet er sich wie Tausende
andere Oppositionelle in China über Nacht im Gefängnis wieder. Es
gibt einen weiteren Gradmesser, an dem sich die Angst einer Diktatur
vor dem eigenen Volk ablesen lässt: Die Sicherheitsvorkehrungen für
eine offizielle Veranstaltung, wie den gestern eröffneten
Kommunistischen Parteitag in Peking. Mehr als eine Million
Milizionäre hat das Regime in die Hauptstadt gekarrt, um selbst den
leisesten Hauch von Kritik im Keim zu ersticken. Auf 20 Bewohner der
Metropole kommt ein Aufpasser. Was westliche Beobachter als
schizophren empfinden, gehört in China zum "normalen" Programm. Denn
nichts fürchtet die Regierung mehr, als dass eine neue
Protestbewegung heranwachsen könnte, die den Machthabern die Stirn
bietet. 1989 - bei der blutigen Niederschlagung der Jasminrevolution
- ließen die Kommunisten die für Freiheit demonstrierenden Studenten
ohne großes Federlesen von Panzern überrollen. Ein Massaker wie
damals am Platz des Himmlischen Friedens könnte sich die Regierung
2012 vor der Weltöffentlichkeit nicht mehr leisten. Daher versucht
sie mit den Mitteln eines totalitären Überwachungsstaats, die
Opposition klein zu halten. Anders als vor 23 Jahren ist China heute
durch Finanz- und Handelsströme mit allen wichtigen Staaten eng
verbunden. Westliche Unternehmen produzieren im asiatischen
Wirtschaftswunderland, während die Welt gierig billige chinesische
Waren kauft. China ist zur Exportnation Nummer 1 aufgestiegen und zum
wichtigsten Geldgeber Amerikas. Der chinesische Drache fliegt hoch
wie nie zuvor. Ein für alle sichtbarer Blutstempel auf dem "Made in
China"-Zeichen aber würde den Staat völlig diskreditieren und dem
Handel massiv schaden. Und damit das Wachstum abwürgen, mit dessen
Früchten sich die Führung bislang weitgehend das Stillhalten der
Unzufriedenen erkaufen konnte. Die scheidende KP-Garde hat dem Volk
gestern eine Bestechung unter dem Motto "Süßes gegen Saures"
angeboten. Das Versprechen lautet Reichtum, oder zumindest spürbar
mehr Wohlstand für alle. Damit bereitet der scheidende Staatschef Hu
Jintao den Boden für seinen Erben Xi Jinping. Gleichzeitig ist es der
Versuch, das Heer der Unterdrückten mit der Hoffnung ruhigzustellen,
dass es ihnen materiell bessergehen wird. Freiheit, Menschenrechte
und Demokratie müssen sich hinten anstellen. Dieser Tauschhandel ist
die Fortsetzung des Experiments, mit den Mitteln des
Staatskapitalismus die Macht des Regimes zu sichern. Doch letztlich
erkaufen sich die kommunistischen Kaiser nur Zeit. Denn auf Dauer
lässt sich auch der Duldsamste nicht in einem goldenen Käfig
einsperren.
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Mittelbayerische Zeitung
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