BERLINER MORGENPOST: Ruhe jetzt!Es ist Weihnachten
Eckhard Fuhr plädiert dafür, einmal im Jahr das zu tun, was nicht zeitgemäß ist
Geschrieben am 22-12-2012 |
Berlin (ots) - Was eigentlich ist Weihnachtsstimmung? Man wird,
wenn man mit aufgeklärten Zeitgenossen über diese Frage spricht, kaum
Antworten erhalten, die ohne ein ironisches Zwinkern gegeben werden.
Wir wissen doch alle, dass das ein fauler Zauber ist. Wenn es um
Weihnachten geht, scheint Ideologiekritik Volkssport zu sein. Das
Wort "Konsumterror", geläufig in den 60er- und 70er-Jahren, ist zwar
etwas aus der Mode gekommen, seit selbst die grünen Wachstumskritiker
von einst nicht mehr Wachstumsverzicht, sondern ein anderes, ein
ökologisches Wachstum propagieren und der Gedanke, es könne doch
einfach einmal genug sein, panisch verdrängt wird. In der
Weihnachtszeit aber, wenn in den Fußgängerzonen unserer Innenstädte
leise die Musikkonserven rieseln, erhebt auch die Konsumkritik ihr
müdes Haupt, nicht nur auf Kirchenkanzeln und im Hochfeuilleton. Man
wird den Verdacht nicht los, dass das zum Spiel gehört, dass es Teil
der Weihnachtsstimmung ist. Die konsumistische Zurichtung von
Weihnachten kitzelt bei vielen einen Vorbehalt heraus. Die
brutalstmögliche Verweihnachtlichung des Alltags wird als Angriff auf
etwas empfunden, das doch unverfügbar sein sollte. Der Osterhase ist
jenseits von Gut und Böse und Pfingsten sowieso etwas für
Intellektuelle. Das Lametta-Christkind jedoch wird von vielen als
peinlich empfunden. Wir reden jetzt nicht von Glaubenserfahrungen und
davon, welche grundstürzenden Folgen die Idee der Menschwerdung
Gottes für jeden Einzelnen hat, wenn er sie denn in sich aufnimmt.
Wir reden von denen, deren religiöse Musikalität über einen
Schnupperkurs in der Jugendmusikschule hinaus kaum gefördert worden
ist, also von vielen, vielleicht von den meisten. Auch sie empfinden
Weihnachtsstimmung und wollen um sie nicht betrogen werden. Es gibt
da etwas Authentisches, einen kulturellen Bestand, dessen man sich
vergewissern will. Diese Weihnachtlichkeit hat mit der Zeit, mit dem
Zeitempfinden zu tun. In aller Hektik bereiten wir uns vor
Weihnachten auf eine stille Zeit vor. Auf eine Unterbrechung. Für
wenige Tage unterwerfen wir uns dann wohlig einem älteren Zeitmaß.
Wir ruhen uns nicht nur aus. Wir wollen an Weihnachten die Erfahrung
machen, dass es überhaupt Ruhe gibt. Besinnlich solle es zugehen an
den Feiertagen, sagt man. Kein christliches Fest ist so auf
Traditionsvergewisserung ausgerichtet wie Weihnachten. Wir tragen zum
Beispiel ganze Nadelbäume noch in die kleinste großstädtische
Etagenwohnung. Und erst die Gänse! Die Tierrechtsorganisation Peta
ruft zwar an Weihnachten regelmäßig dazu auf, von dem archaischen
Brauch des Weihnachtsgansessens zu lassen. Doch sie dringt damit
nicht durch. Wir weichen der Tatsache, dass Leben Töten bedeutet,
sonst bei jeder Gelegenheit aus und brutzeln irgendetwas
Geschnetzeltes. Weihnachten wird aber gerade dadurch zum Fest, dass
Tiere auf den Tisch kommen - nicht nur die Gans, auch der Karpfen -,
die als solche noch zu erkennen sind. Und fett sind diese Tiere auch
noch. An Weihnachten dürfen wir tun, was angeblich nicht mehr
zeitgemäß ist. Das macht die Weihnachtsstimmung aus.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
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