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DER STANDARD-Kommentar: "Der Flüchtlingsprotest als Chance" von Irene Brickner

Geschrieben am 03-01-2013

"Die Härten des Asylsystems sind jetzt Thema, ein
Reformdiskurs täte not"; Ausgabe von 04.01.2013

Wien (ots) - Am Mittwoch unterhielt sich Innenministerin Johanna
Mikl-Leitner (VP) mit hungerstreikenden Flüchtlingen, die
tiefgreifende Änderungen im Asylwesen fordern. Wer das vor einem
Monat vorhergesagt hätte, der oder die wäre, je nach politischer
Einstellung des Zuhörers, belächelt oder beschimpft worden. Denn
Anfang Dezember kamen Asylwerber im öffentlichen Diskurs vor allem in
Zahlen- und Prozentform vor: Sind ihrer im Flüchtlingslager
Traiskirchen zu viele? Und wenn ja, wo sollen sie stattdessen hin, in
welches Bundesland? Wer frisst die Krot?
In dieser Diskussion wurden Schutzbedürftige, um deren Unterbringung,
also Wohl, es doch ging, rein als menschliche Verschubmasse
gehandelt. Ihr Recht, etwas zu wünschen und zu fordern, hatten sie
mit dem Stellen ihres Asylantrags verwirkt. Es sei denn, am Ende
ihres Verfahrens wehrten sie sich mit letzter Kraft gegen eine für
sie existenziell gefährdende Abschiebung.
So lief - und läuft - es in Sachen Asyl in Österreich seit Jahren,
tausende Betroffene haben das bereits mit Recht als würdelos
empfunden. Und Ähnliches geschieht vielfach in der EU als Ganzer,
etwa bei der Anwendung der Dublin-II-Verordnung, laut der
Asylverfahren im Ersteintrittsland eines Flüchtlings durchzuführen
sind. Die Richtlinie steht derzeit zur Novellierung an. Und zwar
sollen künftig - eine Novität! - bei Verschickungen in gewissem
Ausmaß sogar die Wünsche der betroffenen Asylwerber berücksichtigt
werden.
An dieser von technischer Härte und breiter Ablehnung geprägten
Situation hat bisher auch der von Flüchtlingen und Unterstützern
gemeinsam gestartete radikale Protest nichts geändert. Wie sollte er
auch, in so kurzer Zeit? So brauchte es Jahrzehnte, um die
"Asylanten"-Feindlichkeit in Österreich als politisches
Mobilisierungsmittel aufzubauen.
Dennoch hatten die Flüchtlingsaktionen mehr Erfolg als jahrelange
Vorsprachen bei den politisch Verantwortlichen davor. Das - unter
Vorwänden polizeilich inzwischen geräumte - Camp im
Sigmund-Freud-Park und das hartnäckige Verharren von dutzenden
Flüchtlingen in der kalten Votivkirche haben es geschafft, die
bestehenden Missstände zum Thema zu machen, laut genug sogar für die
Innenministerin. Ihr kommt der Verdienst zu, den Mut für ein Gespräch
aufgebracht zu haben, das Ausgangspunkt für reformorientierte
Diskussionen sein könnte - und dringend sollte.
Doch warum hat Mikl-Leitner gerade jetzt hingehört? An der
Radikalität der Flüchtlinge lag das nicht, sondern vielmehr an dem
Umstand, dass sich mit der Caritas und der Erzdiözese Wien zwei in
Flüchtlingsfragen gewichtige Player in den Konflikt eingeschaltet
haben. Auch wenn diese dazu kamen wie die sprichwörtliche Jungfrau
zum Kind: Eine Gruppe pakistanischer Park-Camp-Bewohner, frus_triert
über dessen Wirkungslosigkeit, übersiedelte ins nahe Gotteshaus.
Seither kann im Grunde von einer Spaltung des Protests gesprochen
werden, der ursprünglich von politisierten Asylwerbern und
heimischen, aus der Linken stammenden Unterstützern initiiert wurde.
Diese waren durch Märsche und Besetzungen der so_genannten
Refugee-Bewegung in Deutschland inspiriert. Dass dies in Österreich,
wo solche Konflikte ungewohnt sind, derartigen Widerhall findet, ist
bemerkenswert. Das sollte als Chance betrachtet werden.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom


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