Mittelbayerische Zeitung: Die Tür ist nicht ganz zugenagelt - Die Sondierungen zwischen Union und Grünen haben ein neues politisches Projekt aufgezeigt. Von Reinhard Zweigler
Geschrieben am 16-10-2013 |
Regensburg (ots) - Man traute Dienstagnacht ja seinen Augen und
Ohren nicht. Für eine kurzen historischen Augenblick war der Türspalt
für eine schwarz-grüne Koalition geöffnet. Selbst nach dem Scheitern
des Sondierungsgesprächs gab es - vereinzelt - Küsschen rechts und
links sowie viele warme Worte, von Schwarz und von Grün. Es muss nach
dem 22. September eine wundersame Parteien-Metamorphose vor sich
gegangen sein. Die Grünen waren, aus Sicht der Union, urplötzlich
nicht mehr die Oberlehrer, die die Menschen mit einem vegetarischen
Tag und erneuerbarem Strom pur beglücken wollten, sondern ernsthafte
Partner. Und Merkel, Seehofer, Dobrindt und Co. waren über Nacht
nicht mehr die kalten und gefühllosen Machtmenschen aus dem
Wahlkampf, sondern Partner auf Augenhöhe. Die schwarz-grünen
Sondierungen haben ein neues politisches Projekt für Deutschland
aufgezeigt, zu dem beiden Seiten freilich noch der Mut fehlte.
Allerdings, wer weiß das jetzt schon genau, ist die Tür zu
Schwarz-Grün nicht völlig zugenagelt. Sollte die große Koalition doch
nicht zustande kommen, warum auch immer, läge ein Bündnis von CDU/CSU
und Grünen wieder auf dem Tisch. Man soll in der Politik niemals nie
sagen. Gescheitert ist der erste Anlauf für ein schwarz-grünes
Projekt auf Bundesebene interessanterweise nicht so sehr an
unterschiedlichen Vorstellungen zur Energiewende oder zur Migrations-
und Flüchtlingspolitik, sondern letztlich an den unvereinbaren
Positionen in der Steuerpolitik. Als der inzwischen abgehalfterte
Ex-Fraktionschef und Möchtegern-Finanzminister Jürgen Trittin die
Steuererhöhungskarte zog, platzte die schwarz-grüne Vision wie eine
Seifenblase. Realos, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident
Winfried Kretschmann, aber auch zahlreiche Unioner, haben die
Kompromisslosigkeit in dieser Frage bedauert. Wohl auch deshalb, weil
die zu neuer Bürgerlichkeit tendierenden Grünen gerne eine Option
abseits des überholten Rechts-Links-Schemas hätten. Auch der Union
käme die Erweiterung ihrer politisch-strategischen Möglichkeiten sehr
gelegen. Und nun? Die Sozialdemokraten haben das schwarz-grüne
Techtelmechtel mit Argusaugen, Argwohn und sogar leicht wollüstiger
Na-lasst-sie-doch-machen-Stimmung verfolgt. Nach dem schwachen
25-Prozent-Ergebnis und dem zuletzt frostigen Sondierungsklima ist
längst nicht ausgemacht, ob das heutige Gespräch mit der Union
erfolgreicher verläuft. In dem Fall fiele es Gabriel und Co. auch
verdammt schwer, den kleinen SPD-Parteitag von der Aufnahme
offizieller Verhandlungen mit der Union zu überzeugen. Einigen
SPD-Linken - Gabriel ausdrücklich ausgenommen - ist ein Scheitern der
Gespräche mit der Union ohnehin lieber. Dies könnte dann als
veritabler Vorwand für ein ganz anderes Projekt genutzt werden, für
Rot-Grün-Rot nämlich. Denn rein rechnerisch betrachtet wird der
Wahlsieger Union nicht zum Regieren gebraucht. Der Koalitionspoker
steht vor einem Patt. Und Neuwahlen, die sich mancher in der Union
nun wünschen mag, sind kein wirklicher, vielleicht sogar ein
verfassungswidriger Ausweg. Dass die Union im Fall eines erneuten
Urnengangs die knapp verfehlte absolute Mehrheit holte, ist nicht
ausgemacht. Sicher dagegen scheint, dass dann kleine, extreme
Parteien auf beiden Seiten des Spektrums, von der Linken bis zur
Euro-kritischen alternative für Deutschland, noch mehr an Zulauf
gewinnen würden. Nach Lage der Dinge, muss die Union den
Sozialdemokraten heute etwas bieten, was denen den Weg zu Schwarz-Rot
eröffnet. Der Koalitionspoker geht in die nächste Runde.
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