Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Norbert Mappes-Niediek zur Wahl im Kosovo
Geschrieben am 03-11-2013 |
Regensburg (ots) - Ist jetzt endlich alles klar auf dem Balkan?
Verständlich, dass das vereinigte Europa das schmachvolle Kapitel
seiner jungen Geschichte endlich abschließen möchte.
Schlussstrich-Stimmung hat die gestrige Kommunalwahl im Kosovo
dominiert: Erst kam das historische Abkommen zwischen Belgrad und
Pristina, das im April geschlossen wurde und den Weg zur Beilegung
des letzten offenen Konflikts in der Region öffnen sollte. Gestern
nun sollten die Serben im Norden des Kosovo das Abkommen mit ihrer
Teilnahme an der Wahl nachträglich gutheißen. Geklappt hat es nicht.
Die allerwenigsten Serben im Norden sind wirklich wählen gegangen,
sei es aus Protest, sei es aus Angst vor Repressalien durch
Extremisten. Das ist bedauerlich, weil es die Normalisierung im
Kosovo erst einmal verzögert. Auf einer anderen, höheren Ebene hat
der Misserfolg aber auch seinen guten Sinn. Er zeigt: Es gibt keinen
Schlussstrich auf dem Balkan, und die raschen Lösungen sind nicht
unbedingt die besten. Wie alle nationalen Konflikte im früheren
Jugoslawien hatte auch der zwischen Serben und Albanern nicht bloß
den Effekt, Reformen innerhalb der beteiligten Nationen zu vertagen
und fällige interne Auseinandersetzungen zu verdecken. Nicht selten
war gerade das der Sinn der scheinbar ethnisch motivierten
Scharmützel. Vor 15 Jahren schaffte es der heftig wankende Slobodan
Milosevic mit dem Konflikt um das Kosovo, sein Volk ein letztes Mal
hinter sich zu einen. Unter den Albanern schließlich ist noch heute
alle Energie wenn nicht auf "Befreiung", dann doch auf
Selbstbestimmung, "völlige Selbstbestimmung", internationale
Anerkennung gerichtet. Was man mit der ersehnten Selbstständigkeit
anfangen soll, ist der politischen Klasse noch keinen Gedanken wert.
Das feierliche Versöhnen, das wir auf dem Balkan jetzt erleben, lenkt
vom Alltag nicht weniger ab als der angeblich so heilige Krieg, den
die Eliten gegen einander ausgefochten haben. Nicht von ungefähr sind
es im Kosovo auf beiden Seiten dieselben Leute, die nach dem großen
Krieg jetzt den großen Frieden inszenieren: mit den Albanern Hashim
Thaci der einstige politische und mit Ramush Haradinaj ein wichtiger
militärischer Führer der ominösen "Befreiungsarmee" UCK; mit den
Serben Ivica Dacic und Aleksandar Vucic der frühere
Milosevic-Sprecher und ein einstiger radikaler Hassprediger.
Verhandlungstechnisch mag das praktisch sein - beide Seiten kennen
einander ja sehr gut. Aber dass ausgerechnet sie die tragfähigen
Lösungen der Zukunft verhandeln sollen, muss schon mulmig stimmen.
Wenn sie etwas beherrschen, dann ist es das Machtspiel. Schon in den
90er Jahren haben erst die internationalen Konferenzen, die
Friedenspläne und hochkarätigen Verhandlungen Kriegsherrn aller
Seiten unanfechtbar gemacht. Die westlichen Friedensstifter wollten
es so, getreu dem Grundsatz: In der Hölle ist der Teufel eine
positive Gestalt. Heute aber ist der Balkan keine Hölle mehr. Die
Hoffnung liegt nicht darin, dass der Herr der Unterwelt vielleicht
doch ein Einsehen hat, wenn man nur nett genug zu ihm ist. Heute
liegt die Hoffnung auf den vielen Menschen in der Region, die das
Machtspiel satt haben, die endlich über Betriebsansiedlungen,
Abwasserentsorgung oder Raumplanung reden wollen statt über Nationen
und deren Grenzen. Ihnen aber nimmt der "Friedensprozess" im Kosovo
so, wie er läuft, das Heft wieder aus der Hand. Bei den großen Haupt-
und Staatsaktionen sind die Gewinner nicht die Bürger des Kosovo -
die Albaner so wenig wie die Serben oder gar die Angehörigen der
kleineren Minderheiten. Im Spiel der Nationen sind ihre banalen
Interessen zur Verhandlung nicht zugelassen.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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