Jones Lang LaSalle zum Ergebnis der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz
Geschrieben am 10-02-2014 |
Frankfurt (ots) -
Von Angebotslücke zum Überangebot im Wohnungsmarkt?
Die äußerst knappe Annahme der Masseneinwanderungsinitiative durch
Volk und Stände wird die Schweizer Politik und Wirtschaft wohl noch
einige Zeit beschäftigen. Während hinsichtlich der Umsetzung der
Initiative noch viel Unsicherheit herrscht, können erste Szenarien
für die Wohnimmobilienbranche entworfen werden. Eine sehr starke
Reduktion der Zuwanderung - z.B. aufgrund zu scharfer Kontingente
oder einer Kündigung der bilateralen Verträge - könnte im
Wohnungsmarkt rasch zu einer Überangebotssituation führen mit
nachteiligen Folgen für die Immobilienwerte.
Das Argument "Wohnungsknappheit"
Mit dem Schlagwort "Wohnungsknappheit" war der Immobiliensektor
ein zentrales Argument der Befürworter der Initiative im
Abstimmungskampf. Der sprunghafte Anstieg der Einwanderung seit der
vollständigen Einführung der Personenfreizügigkeit für die alten
EU-Länder im 2007 habe das Angebot/Nachfrage-Gleichgewicht im
Wohnungsmarkt massgeblich zugunsten der Vermieter verschoben, und
dadurch die Mieten deutlich ansteigen lassen. Die Netto-Einwanderung
von Ausländern beschleunigte sich von knapp unter 50.000 Personen pro
Jahr in den frühen 2000er Jahre auf über 80.000 pro Jahr in den
Jahren nach 2006. Gleichzeitig sind gemäß W&P/SNB die Angebotsmieten
für Mietwohnungen in den sieben Jahren seit 2006 real um etwa 19%
angestiegen.
Andere Treiber mindestens ebenso wichtig
Die realen Angebotsmieten haben sich allerdings auch bereits in
den sieben Jahre zuvor um etwa 15% erhöht, was darauf hinweist, dass
der erhöhten Immigration nicht die Alleinschuld für den Mietdruck
gegeben werden kann. Das robuste Wirtschaftswachstum, welches sich im
Tandem mit der Einwanderung einstellte, war ebenfalls ein wichtiger
Treiber. Steigende Realeinkommen erhöhen die Zahlungsbereitschaft für
verbesserte Wohnqualität an besseren Lagen. Dazu scheinen die Mieten
im Vergleich zu den Realeinkommen Ende der 90er-Jahre historisch auf
tiefem Niveau gewesen zu sein, was auf ein Aufholpotential hinweist.
Es ist aber zu erwähnen, dass Abbildung 1 die heutige relative Höhe
der Mieten zum Realeinkommen wahrscheinlich etwas unterschätzt
darstellt aufgrund der Spezifikationen der zugrundeliegenden
Realeinkommen- und Mietpreisindizes.
Wie stark hängt die Nachfrage von der Immigration ab?
Eine Schätzung über die Entwicklung der Haushaltsstruktur ist mit
Unschärfe behaftet. Unsere Berechnungen zeigen, dass sich die Anzahl
der Haushalte in der Schweiz seit 2007 um fast 50.000 pro Jahr erhöht
hat. Wir schätzen, dass die Netto-Einwanderung dabei für etwa 75% des
gesamten Anstiegs verantwortlich war. Eine starke Reduktion der
Einwanderung würde daher die jährliche Zusatznachfrage substantiell
beeinträchtigen. Die Anzahl der Haushalte in der Schweiz erhöht sich
aber auch ohne Immigration aufgrund des natürlichen
Bevölkerungswachstums und des anhaltenden Trends zu kleineren
Haushaltsgrößen. Der kumulative Geburtenüberschuss von sesshaften
Schweizern und Ausländern betrug über die Zeitperiode 2003-2012 etwa
145.000 Menschen gemäß Angaben des Bundesamts für Statistik. Zudem
sank die durchschnittliche Wohnungsbelegung von 2,38 Personen im 1990
über 2,29 Personen im 2000 auf 2,20 Personen im 2011. Ein Rückgang
der durchschnittlichen Wohnungsbelegung von 2,29 Personen auf 2,2
Personen bedeutet bei einer Bevölkerung von 8 Millionen Einwohnern
einen Anstieg von mehr als 142.000 Haushalten. Die entspricht, falls
auch der durchschnittliche Einwandererhaushalt aus 2,2 Personen
besteht, einer Netto-Einwanderung von 315.000 Personen.
Wie groß ist die Angebotslücke?
Die Wohnungsproduktion hielt zu Beginn der Personenfreizügigkeit
nicht mit der zusätzlichen Nachfrage von 50.000 Haushalten pro Jahr
mit. Wie die Politik hat auch die Bauindustrie anfänglich die Dynamik
der Einwanderung unterschätzt. Dazu verzögerten Kapazitätsengpässe
die Fertigstellung einiger Objekte. Gemäß Bundesamt für Statistik
wurden seit 2007 im Schnitt jährlich etwas mehr als 45.000
Wohnungseinheiten fertiggestellt. Im Vergleich zur
Haushaltsentwicklung entspricht dies einer kumulativen Lücke von ca.
25.000 Einheiten. Seit 2010 entspricht die Wohnungsproduktion dann
wieder ungefähr dem Haushaltswachstum, auch wenn das Neuangebot
wahrscheinlich oft nicht an den richtigen Orten (zu viel in der
Peripherie) und/oder im richtigen Segment (zu viel im höheren
Segment) entsteht.
Wohnungsproduktion dürfte hoch bleiben im 2014 und 2015
Die sich angehäufte Lücke von 25.000 Einheiten entspricht ungefähr
der halben heutigen Jahresproduktion an neuen Wohnungen und
Einfamilienhäusern von fast 50'000 Einheiten. Angesichts den
momentanen Zahlen zu Baubewilligungen und zu den sich im Bau
befindlichen Liegenschaften ist auch in den nächsten beiden Jahren
mit einem ähnlichen Neuangebotsvolumen zu rechnen. Das natürliche
Bevölkerungswachstum und die Verringerung der Haushaltsgrößen
absorbieren davon etwa 10.000-15.000 Einheiten. Somit bleiben noch
30.000-35.000 Einheiten übrig für die Nachfrage durch neue
Netto-Immigration oder für die Schließung der entstandenen Lücke.
Wohnungslücke kann sich rasch schließen
Einzuschätzen, wie sich die Einwanderung in den nächsten Jahren
entwickelt, ist keine leichte Aufgabe. Die Annahme der Initiative hat
die Unsicherheit zusätzlich erhöht. Neben dem Worst Case-Szenario der
Kündigung aller Bilateralen Verträge durch die EU ist auch Vieles
hinsichtlich der Umsetzung der Initiative unklar. Z.B., wie und von
wem wird genau die Höhe der Kontingente bestimmt? Nehmen wir mal
einfachheitshalber an, dass sich die Netto-Einwanderung über die
nächsten drei Jahren wieder linear auf das vor-Freizügigkeitsniveau
von 50.000 Personen bzw. 23.000 Haushalten reduzieren wird. Dies
würde die Netto-Einwanderung im 2014 auf ca. 70.000 Personen (ca.
32.000 Haushalte) und im 2015 auf 60.000 Personen (ca. 27.000
Haushalte) vermindern. Insgesamt würden dadurch die Anzahl Haushalte
im 2014 "nur" noch zwischen 41.000-46.000 Einheiten und im 2015
zwischen 37.000-42.000 Einheiten ansteigen, was deutlich unterhalb
der erwarteten Wohnungsproduktion in diesen Jahren liegt
(gestrichelte Linien in Abbildung 2). Das heißt, die angehäufte
Produktionslücke könnte sich bald wieder schließen, und der Mietdruck
wird dadurch nachlassen, wie es sich die Initiativbefürworter
erhofften.
Gefahr eines Überangebots erfordert Vorsicht
Wir denken allerdings, dass der Mietdruck aufgrund der
Angebotsausweitung auch ohne Annahme der Initiative allmählich
verschwunden wäre. Die laufende Angebotslücke hat sich wie oben
diskutiert bereits in den letzten drei Jahren geschlossen. Es besteht
nun vielmehr die Gefahr, dass wir am Wohnimmobilienmarkt durch eine
zu restriktive Immigrationspolitik in eine Situation des schädlichen
Überangebots schlittern. Wie die 70er Jahre und die 90er Jahre uns
schmerzlich gezeigt haben, kann der Immobilienmarkt bei einem
deutlichen Rückgang der Nachfrageseite auch rasch in einen Zustand
fallen, in dem die Mieten mehr als erhofft unter Druck kommen und die
Bewertungen der Immobilien dementsprechend sinken. Dies trifft alle
Arten von Investoren, von Privatpersonen bis zu unseren
Pensionskassen, welche einen größeren Anteil ihrer Vermögenswerte in
Schweizer Immobilien halten. In einer ersten Phase werden wohl
insbesondere Objekte an peripheren Lagen mit
Vermietungsschwierigkeiten zu kämpfen haben, doch eine solche Krise
wird kaum isoliert bleiben. Wir erachten es daher nicht nur aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht als notwendig, dass die Umsetzung der
Initiative mit Vor- und Weitsicht angegangen wird. Ein zu starker,
abrupter Rückgang des Zustroms qualifizierter ausländischer
Arbeitskräfte sollte verhindert werden.
Pressekontakt:
Dorothea Koch, Tel. +49 (0) 69 2003 1007, dorothea.koch@eu.jll.com
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