Aachener Nachrichten: Was zu kritisieren ist - Israel, der Gaza-Krieg und die Reaktionen darauf; Kommentar von Joachim Zinsen
Geschrieben am 23-07-2014 |
Aachen (ots) - Über den Charakter von Hetzparolen wie "Jude, Jude,
feiges Schwein" oder "Gestern angeblich Opfer, heute Täter" erübrigt
sich jede Debatte. Sie sind antisemitisch. Jeder, der solche Sprüche
skandiert, propagiert Rassenhass, gehört gesellschaftlich geächtet.
Es ist seit Jahren immer das gleiche traurige Spiel: Wer die Politik
israelischer Regierungen gegenüber den Palästinensern scharf
kritisiert, sieht sich schnell von Gestalten umgeben, mit denen er
eigentlich nichts zu tun haben will. So ergeht es derzeit der
Linkspartei. Sie hatte am vergangenen Wochenende zu Protesten gegen
den mörderischen Gaza-Krieg aufgerufen. Prompt mischten sich
Rechtsex-tremisten, Salafisten und andere unappetitliche Figuren
unter die Demonstranten. Seither wird in der Partei heftig über die
Frage gestritten: Haben wir uns im Vorfeld der Veranstaltung deutlich
genug von Rassisten unterschiedlichster Couleur abgegrenzt? Diese
Frage muss sich jeder Israel-Kritiker stellen. Immer hat er zu
prüfen: Wird klar, dass all das, was ich an der israelischen Politik
auszusetzen habe, nicht den Staat Israel in Frage stellt und erst
Recht nicht als Angriff auf "das Judentum" missverstanden werden
kann? Oder handele ich fahrlässig? Andererseits gibt es ein Phänomen,
das ebenfalls fast jeder Kritiker der israelischen Politik schon
erlebt hat. Macht er den Mund auf, schlägt die deutsche Israel-Lobby
mit der Antisemitismus-Keule zu. Selbst wohlabgewogene Aussagen
werden oft bewusst zu einer verkappten Form des Judenhasses
uminterpretiert. Das Ziel ist offensichtlich: Zum einen soll vom Kern
der Kritik abgelenkt und die öffentliche Debatte umgelenkt werden.
Zum anderen sollen Kritiker eingeschüchtert werden. Denn keiner, der
halbwegs bei Sinnen und nur ein klein wenig geschichtsbewusst ist,
möchte in den Verdacht geraten, mit Antisemitismus zu sympathisieren.
In diesem Spannungsfeld wird Kritik an der israelischen Regierung
schnell zu einer Gratwanderung. Und doch ist sie berechtigt. Gerade
jetzt, wo die Gewalt wieder einmal eskaliert. Ja, was die israelische
Armee derzeit im Gaza-Streifen treibt, ist blindwütig und maßlos, hat
mit Selbstverteidigung nichts mehr zu tun. In dem abgesperrten Gebiet
leben 1,8 Millionen Palästinenser auf einer Fläche von der Größe der
Stadt Frankfurt. Wer diesen Käfig massiv bombardiert und Bodentruppen
in ihn hineinschickt, nimmt den Tod hunderter unschuldiger Frauen und
Kindern zumindest billigend in Kauf. Anders als Israels
Regierungschef Benjamin Netanjahu ständig behauptet, ist dort die
Zahl der palästinensischen Opfer nicht so hoch, weil die Hamas
Zivilisten als lebende Schutzschilde benutzt. Nein, die Menschen in
Gaza sterben, weil sie den Angriffen der israelischen Armee nicht
ausweichen können. Wohin sollen sie gehen? Aber offensichtlich
interessiert das weder die Hamas noch die israelische Regierung. So
wenig wie für die Führung der palästinensischen Islamisten ein
jüdisches Leben zählt, so wenig zählt für israelische Minister wie
Avigdor Lieberman oder Naftali Bennett ein arabisches Leben. Auf
beiden Seiten herrschen Rassisten, die sich gegenseitig in die Karten
spielen. Denn auch nach diesem Krieg wird es sein wie nach den
vorherigen: Aus den Gräbern der Opfern wächst neuer Hass. Hass, der
immer mehr Menschen in das Lager der Radikalen, der Nationalisten,
der Unversöhnlichen treibt. Die Folgen sind absehbar: Der Strudel der
Gewalt wird abertausende weitere Palästinenser in den Tod ziehen.
Israels Blutzoll wird angesichts seiner gewaltigen militärischen
Überlegenheit zwar niedriger sein. Doch das Land wird langfristig als
demokratischer Staat nicht überleben. Genau davor warnen auch einige
jüdische Kritiker die israelischen Regierung. Sie sprechen von einem
Massenmord in Gaza und fordern einen sofortigen Stopp der Angriffe.
Diese Friedensaktivisten beweisen Mut. Denn obwohl die israelische
Gesellschaft seit dem Mord an Jitzchak Rabin vor knapp zwanzig Jahren
immer weiter ins nationalistisch-religiöse Lager abgeglitten ist,
werben sie für einen gerechten Ausgleich mit den Palästinensern.
Deshalb gelten sie in Israel als Verräter, werden beschimpft und
bedroht. Doch genau sie und nicht die Kämpfer der Hamas oder der
israelischen Armee sind heute die wahren Helden.
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