Börsen-Zeitung: All-in, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs
Geschrieben am 22-01-2015 |
Frankfurt (ots) - Es war lange Zeit so etwas wie das Tabu
schlechthin in Euroland - aber nun ist es Realität: Die Europäische
Zentralbank (EZB) kauft für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen
aller Euro-Länder. Quantitative Easing, kurz QE, lautet das
Zauberwort. EZB-Präsident Mario Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat
wollen damit nach eigener Lesart jegliche Deflationsgefahr im Keim
ersticken. Der Schritt ist aber nicht so alternativlos, wie ihn
Draghi & Co. darstellen; der Nutzen kaum so groß, wie die
QE-Apologeten behaupten; dafür aber die Risiken so immens, wie es die
Kritiker monieren. Draghi geht volles Risiko - "All-in", hieße das
beim Poker - und läuft Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen.
Und völlig entzaubert.
Bitte keine Hysterie
Keine Frage, die EZB hat zuvor schon Staatstitel gekauft - von
2010 bis 2012 im Zuge des Securities Markets Programme (SMP), vor
allem griechische, italienische und spanische Papiere. Das Votum pro
QE aber hat eine ganz neue Qualität - und das nicht nur wegen der
Volumina: Staatsanleihekäufe werden zum "normalen" Instrument der
EZB.
Was vielen Euro-Hütern unruhige (Tag-)Träume beschert, ist die im
Dezember auf -0,2% abgesackte Inflation. In den ersten Monaten 2015
könnte es sogar noch weiter nach unten gehen. Aber wer die Eurozone
damit in einer Deflation wähnt, neigt zur Hysterie. Der Fall unter
die Nulllinie ist zuvorderst dem Verfall der Ölpreise geschuldet.
Eine sich selbst beschleunigende Abwärtsspirale, in der die
Verbraucher in Erwartung sinkender Preise Käufe aufschieben und das
die Wirtschaft lähmt, ist weiterhin nicht erkennbar.
Überhaupt scheint eine solche Negativspirale wie in den 1930er
Jahren weit weniger oft vorzukommen, als es manch alarmierte Warnung
vermuten lässt. Die BIZ, die Zentralbank der Zentralbanken, warnt zu
Recht, das Deflationsrisiko zu überschätzen und mit einem aggressiven
Gegensteuern mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Wenn
eine Geldschwemme zu neuen Finanzexzessen führt, geht das schnell
nach hinten los.
Natürlich ist es für die EZB ein Problem, wenn die Inflation das
Ziel von knapp 2 % derart deutlich verfehlt. Aber dafür gibt es gute
Gründe - neben dem Ölpreisverfall die Preis- und Lohnanpassungen in
den Krisenländern. Die EZB täte gut daran, weniger Energie auf
politische Winkelzüge zu verwenden und stattdessen klar zu machen,
dass sie die zurückgehenden Inflationsraten gut begründen kann und
diese großteils positive Effekte haben. Das würde mehr Vertrauen
schaffen als das Beschwören einer Deflationsgefahr oder eine
kurzatmige Geldpolitik. Und was viele zu vergessen scheinen: Die
Geldpolitik ist auch ohne QE so locker wie nie zuvor. Geld gibt es
quasi zum "Nulltarif".
Auf jeden Fall aber sollte sich niemand der Illusion hingeben,
dass QE nun wie eine Art Allheilmittel wirkt. Die Effekte auf die
Realwirtschaft im Euroraum scheinen limitiert: Die Renditen der
Staatsanleihen befinden sich bereits auf historischen Tiefs, der Euro
hat schon stark abgewertet. Zudem dominiert die Kreditvergabe über
Banken, nicht über die Kapitalmärkte. Und wer sagt überhaupt, dass
die EZB in Zeiten eines großen Anlagenotstands genug Verkäufer
findet, zumindest bei soliden Papieren und zu vernünftigen Preisen?Es
ist nun eine große Gefahr, dass Draghis letztes Ass nicht sticht -
und das ohnehin sinkende Vertrauen der Euro-Bürger in die EZB als
Garant für eine stabile Währung vollends schwindet.
Entscheidend ist es deshalb, dass die Politik endlich ihrer
Verantwortung gerecht wird: Wichtiger als jede neue
Liquiditätsspritze ist jetzt die Reparatur des Finanzsystems,
wichtiger als weiter sinkende Renditen sind Strukturreformen,
wichtiger als eine schwächere Währung sind solide Finanzen. Und wenn
es doch eines Impulses für die Nachfrage bedarf, sind
zukunftsgerichtete Investitionen nun sicher das bessere Mittel als
mehr billiges Geld. Also: Berlin, Paris, Brüssel - übernehmen Sie!
Leider aber schwindet mit jeder neuen EZB-Hilfe der Reformeifer - da
kann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch so vehement das
Gegenteil einfordern.
Die andere große Gefahr schließlich ist, dass Staaten ihr Heil
noch mehr in Schulden suchen. Draghi mag da noch so auf Distanz zur
Fiskalpolitik gehen - die Kommentare aus vielen Hauptstädten sind
entlarvend: Viele sähen die EZB gerne in der Rolle eines ultimativen
Kreditgebers. Und die EZB wird sich solchen Begehrlichkeiten immer
weniger entziehen können.
Ein Problem dabei hat die EZB nun ein wenig umschifft. Den
Großteil der Käufe tätigen die nationalen Zentralbanken auf eigenes
Risiko. Das kommt nicht zuletzt deutschen Sorgen vor einer
Umverteilung fiskalischer Risiken über die EZB-Bilanz entgegen - also
quasi vor "Eurobonds durch die Hintertür". Aber zum einen kommt es
eben doch zu einem kleinen Teil zu einer solchen Vergemeinschaftung
und zum anderen lässt sich hinterfragen, was diese Lösung am Ende
wert ist, wenn es zu einem Zahlungsausfall kommt. Und schließlich ist
das Ausdruck mangelnder Einigkeit. Bedenken über einen ersten Schritt
zur Renationalisierung der Geldpolitik sind nicht von der Hand zu
wiesen.
Der Kern der Malaise
Das führt letztlich zum Kern der Malaise: Die EZB muss immer
wieder als Ausputzer der Handlungsunfähigkeit und -unwilligkeit der
Politik herhalten und Konstruktionsschwächen der Eurozone kaschieren.
Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Welche Währungsunion wollen wir
wirklich? Wie sehr sind wir bereit, füreinander einzustehen? Die
Politik hat aktuell wenig Appetit, solche zentralen Fragen zu stellen
- und schon gar nicht, sie zu beantworten. Aber das ist essenziell
für die Zukunft der Währungsunion. Es ist Aufgabe der demokratisch
legitimierten Politik, solche Antworten zu geben - und nicht die der
Notenbank.
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Telefon: 069--2732-0
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