Mittelbayerische Zeitung: Zuckerbrot und Peitsche / Kanzlerin und Länderchefs sind sich einig, den Druck auf ausreiseunwillige Asylbewerber zu erhöhen.
Geschrieben am 09-02-2017 |
Regensburg (ots) - Die Willkommenskultur, die im Spätsommer 2015
Tausende von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten in Syrien und im
Irak auf Bahnhöfen entgegenschlug, war gestern. Ernüchterung ist
eingekehrt. Und die Realität. Bund und Ländern basteln an einer
"Abschiebekultur". Dass das Land nicht Hunderttausende Menschen
aufnehmen kann, die - noch dazu wochenlang ohne Kontrollen - nach
Deutschland strömten, hatte sich bald nach der anfänglichen Euphorie
über die Neuankömmlinge gezeigt. Auch das größte und wohlhabendste
Land in der EU kann das Flüchtlingsproblem nicht alleine schultern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Länderchefs haben gestern
lange beraten, wie sie dem Problem unzureichender Abschiebungen
beikommen können. Hunderttausende Ausländer sind eigentlich
ausreisepflichtig, doch es hapert aus vielerlei Gründen bei ihrer
Abschiebung. Zwar sind sich im Grundsatz alle einig, dass abgelehnte
Asylbewerber in ihre Heimatländer zurück geschickt werden müssen.
Doch der Teufel steckt im Detail. Das Problem ist, erst Recht im Jahr
der Bundestagswahl, höchstbrisant. Zusätzliches Feuer kam in die
Debatte nach dem blutigen Lkw-Anschlag eines Asylbewerbers aus
Tunesien auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Der Mann war zwar als
islamistischer Gefährder eingestuft. Doch er konnte, begünstigt durch
eine Reihe von Schlampereien mehrerer Behörden, durch Deutschland
reisen wie er wollte. Der Attentäter saß bereits zwei Tage in
Abschiebehaft, wurde jedoch wieder freigelassen. Ein solches
verhängnisvolles Versagen von Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern
darf sich nicht wiederholen. Der jetzige 16-Punkte-Plan, von dem die
Kanzlerin die Länderchefs zu überzeugen versuchte, setzt sowohl auf
Zuckerbrot als auch auf Peitsche. Mit finanziellen Anreizen sollen
abgelehnte Asylbewerber zur freiwilligen Rückkehr in ihre Heimat
bewegt werden. Mehrere Zehntausend haben bereits den freiwilligen Weg
zurück genommen. Rund 25 000 Abgelehnte mussten allerdings auch
abgeschoben werden. Das sind, gemessen an den absoluten Zahlen
rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber, zu wenige. Deshalb nun die
"nationale Kraftanstrengung", die Bundesinnenminister Thomas de
Maizière ausgerufen hat. Die Krux dabei ist, dass sich zahlreiche
Herkunftsländer von Flüchtlingen - oder eben denen, die sich als
solche ausgeben - ihre Staatsbürger nicht wieder aufnehmen wollen.
Mit West-Balkanstaaten hat Berlin Rücknahmeabkommen schließen können.
Mit anderen Krisenstaaten, vor allem in Nordafrika, gibt es jedoch
keine Verträge. Und Abschiebungen ins vom Bürgerkrieg geschüttelte
Afghanistan sind erst recht problematisch. Die islamistischen Taliban
gewinnen am Hindukusch weiter an Boden. Gegen zwei
Sammelabschiebungen von mehreren Dutzend Afghanen, die meisten von
ihnen lebten in Bayern, gab es scharfe Kritik von
Menschenrechtsorganisationen und Opposition. Eine
"Abschiebungsmaschinerie" wurde beklagt. Das geht allerdings zu weit.
Doch immer wieder sorgen spektakuläre Einzelfälle von Abschiebungen
gut integrierter Ausländer, gerade aus Afghanistan, für Zweifel an
der härteren Abschiebepraxis. Kirchengemeinden, die ihre Gotteshäuser
für Asylsuchende zur Verfügung stellen, leisten zivilen Widerstand.
Dennoch entziehen sich abgelehnte Asylbewerber durch allerlei Tricks
der Abschiebung. Ob die im Behördendeutsch "Bundesausreisezentren"
genannten Lager wirklich Abschiebungen wirkungsvoll voranbringen
können, ist fraglich. Mit Blick auf die fremdenfeindliche AfD wollen
sich Union und SPD nun allerdings keine Blöße geben.
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