Mittelbayerische Zeitung: Alles im Lot / Der Politische Aschermittwoch zeigt, dass die politische Mitte wieder zu alter Kraft zurückfindet. Leitartikel von Claudia Bockholt
Geschrieben am 01-03-2017 |
Regensburg (ots) - Jetzt wird's hint' höher wie vorn. Das mag
manch altgedienter CSU-ler angesichts des hymnisch gefeierten
Gottkanzlers aus Würselen gedacht haben. Die sonst bespöttelte,
schlimmer noch: bemitleidete SPD holt mit Martin Schulz doch
tatsächlich mehr Leute auf die Bierbänke als die eingeführte Topmarke
im weiß-blauen Politgeschäft. Da scheint aus bayerischer Perspektive
etwas gewaltig aus dem Gleichgewicht geraten. Es wird aber auch
andersherum ein Schuh daraus: Die politische Welt in Deutschland
gewinnt auf beruhigende Weise ihre Balance zurück. Nach anfänglichem
Hochmut dämmert den Christsozialen, dass dieser aus Brüssel
zugewanderte Genosse keine schnell abgebrannte Wunderkerze ist. Im
niederbayerischen Bierzelt hat Martin Schulz die Feuertaufe
bestanden: Wer es als Sozi hier schafft, der schafft es ziemlich
sicher überall. Sofern Schulz nicht vor dem 24. September schon
siegestrunken über die eigenen Füße stolpert, könnte er den
Popularitätsvorsprung vor Angela Merkel in den kommenden sechs
Monaten durchaus halten. Selbst für Unions-Anhänger steckt darin
zumindest eine gute Nachricht: Ein großer Teil der Wut- und
Protestwähler, die Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Denkzettel
verpassen wollen, wendet sich von der AfD ab und einem neuen
Hoffnungsträger zu. Die Alternative für Deutschland hat ja nie nur am
rechten Rand der Gesellschaft gefischt. Linke, SPD-ler, viele
CDU-Wähler liefen ihr zu. Nun tönen die markigen Sprüche von Rechts
plötzlich hohl. Frauke Petry braucht mittlerweile den smarten
Österreicher Straché als Sidekick, um Stimmung zu entfachen. Und das,
was Schulz mit der neuen Aufbruchstimmung nicht schafft, wird -
ähnlich wie bei den Piraten - die Partei erledigen. Sie zerlegt sich
zuverlässig selbst. Weil sie sich nicht von Parteifreunden am ganz
rechten Rand distanzieren mag. Auch wegen mangelnder Erfahrung: In
der Bundespressekonferenz musste die forsche Debütantin Petry gerade
erst zurechtgewiesen werden, dass nicht sie die Fragen beantworten
soll, die anderen Vorstandsmitgliedern gestellt werden. Vor allem
aber, weil offensichtlich nicht gemeinsamer politischer
(Gestaltungs-)Wille die Führungsspitze antreibt, sondern Machthunger
und Eitelkeit, endet der Triumphmarsch der AfD jetzt in einer
Sackgasse. Was narzisstische Persönlichkeiten an der Spitze eines
Staates anrichten können, ist gerade als US-amerikanische Daily Soap
zu erleben. Seit Donald Trump gewählt ist, kommt die Welt nicht aus
dem mal sorgenvollen, mal ungläubigen Kopfschütteln heraus. Dass die
CSU beim Politischen Aschermittwoch ausgerechnet Trumps Wahlspruch,
abgeändert in "Bavaria First", vor sich herträgt, muss man wohl zu
ihren Gunsten als fremdsprachige Variante des alten Lamentos über die
Bürde des Länderfinanzausgleichs betrachten. Denn wem ist bei den
Slogans des US-Präsidenten eigentlich noch zum Lachen zumute? Die
politischen Verhältnisse, in der Welt und direkt vor unserer Haustür,
haben sich binnen weniger Monate so rasend schnell verändert, dass
einem ganz schwindlig - und manchmal etwas übel - wird. Nichts
scheint mehr unmöglich. Rund um uns bröckeln Demokratien, schwinden
Meinungs- und Pressefreiheit, regieren Willkür und Demagogie. Wenn
Deutschland am 24. September zwischen einem geschickt
emotionalisierenden Schulz und einer kalkuliert abwartenden Angela
Merkel zu wählen hat, haben wir alle schon gewonnen. Beide
garantieren, dass die Verfassung den Stellenwert behält, den sie über
Jahrzehnte innehatte. Wer im Kanzlerrennen am Ende die Nase vorn hat,
ist dann schon fast gehupft wie gesprungen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
609390
weitere Artikel:
- Mittelbayerische Zeitung: Erdogans Geiseln / Kommentar zu Deniz Yücel Regensburg (ots) - Seit 13 Tagen ist ein deutscher Journalist die
Geisel des türkischen Staatspräsidenten. Nicht nur Deniz Yücel sieht
sich dabei konstruierten und politisch motivierten Anschuldigungen
ausgesetzt. Mit ihm sitzen noch 155 weitere Journalisten, die mit den
gleichen abstrusen Vorwürfen konfrontiert sind hinter Gitter. Ob nun
Autokorsos hupend durch Städte ziehen oder Bundeskanzlerin und
Bundespräsident ihre Besorgnis äußern: Das kann nicht alles sein. Der
Fall Yücel offenbart - und das wahrlich nicht zum ersten Mal: Mit mehr...
- Rheinische Post: Kommentar: Verspätung als Spätfolge Düsseldorf (ots) - Die Bahninfrastruktur in Deutschland ist in
einem desolaten Zustand. Hartmut Mehdorn hat in seinem Bestreben, die
Bahn an die Börse zu bringen, Einsparungen vorangetrieben und einen
Investitionsstau verursacht - zum Nachteil von Gleisen, Weichen und
Stellwerken. Gottlob hat die Politik eingesehen, welch großen Schaden
dieser Kurs angerichtet hat. Der Bund steuert finanziell gegen. Für
die Kunden bedeutet dies, dass sie in den kommenden Jahren mit
massiven Beeinträchtigungen durch Baustellen rechnen müssen.
Verspätung mehr...
- Rheinische Post: Kommentar: Im Schongang Düsseldorf (ots) - Der politische Aschermittwoch ist der Tag der
deftigen Gegnerbeschimpfung und schlichten Selbstvergewisserung.
Gemessen daran waren die Vorstellungen von Union und SPD ein wenig
enttäuschend. Obwohl in Bayern die notorisch selbstbewusste CSU und
die gerade von sich selbst berauschte SPD nur wenige Kilometer
voneinander entfernt aufeinandertrafen, war es ein Aschermittwoch im
Schongang. Die großen Volksparteien haben längst den Herbst 2017 im
Blick und wissen, dass sie möglicherweise wieder miteinander regieren
müssen mehr...
- Rheinische Post: Kommentar: Türkische Mitregierung in Deutschland Düsseldorf (ots) - Während wir uns in Deutschland über die
Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel und die
Instrumentalisierung der türkischen Justiz gegen Kritiker von
Präsident Erdogan empören, geben sich türkische Minister in
Deutschland die Klinke in die Hand. Heute kommt der Justizminister
nach Karlsruhe, um Wahlkampf zu machen; am Sonntag kommt der
Wirtschaftsminister nach Köln. Und ein Besuch von Erdogan persönlich
droht uns auch noch. In Ankara glaubt man offenbar, in Deutschland
gewissermaßen mitregieren zu dürfen. Das mehr...
- NOZ: Forsa-Chef Güllner: Briefwahl in ihrer jetzigen Form abschaffen Osnabrück (ots) - Forsa-Chef Güllner: Briefwahl in ihrer jetzigen
Form abschaffen
Demoskop kritisiert Sicherheitsmängel - Betrugsverdacht in
Niedersachsen und Sachsen-Anhalt
Osnabrück. Zum Auftakt des Super-Wahljahres 2017 hat sich
Forsa-Chef Manfred Güllner für eine Abschaffung der Briefwahl in
ihrer jetzigen Form ausgesprochen. Im Gespräch mit der "Neuen
Osnabrücker Zeitung" (Freitag) sagte Güllner: "Wir schicken in alle
Welt Wahlbeobachter, aber tolerieren hierzulande eine Briefwahl, bei
der Betrug leicht gemacht wird." mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|