Mittelbayerische Zeitung: Mit zweierlei Maß / Mit welchem Recht mischen sich Deutschland und die EU in der Türkei ein und üben Kritik an Erdogan?
Geschrieben am 01-05-2017 |
Regensburg (ots) - Immer wieder die Türkei! Inzwischen vergeht
kein Tag mehr ohne Nachrichten aus bzw. über das Land am Bosporus.
Längst gibt es kaum eine Nachrichtensendung, in der nicht der Name
von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan fällt. Spätestens seit dem
gescheiterten Militärputsch - und den Folgen - werden deutsche und
europäische Politiker nicht müde, mit dem Finger gen Osten zu zeigen
und rechtsstaatliche Standards einzufordern. Andernfalls würden sie
dem Land und dem vermeintlichen Despoten bei den
EU-Beitrittsverhandlungen den Stuhl vor die Tür stellen, drohen sie
unverhohlen. Warum eigentlich - und mit welchem Recht? Weil die
türkische Regierung im Umgang mit Kritikern und Journalisten deutlich
über die Stränge schlägt. Weil die Obrigkeit im - asiatischen -
Ankara europäische Werte nicht hoch genug hält. Weil es Präsident
Erdogan oftmals weder mit demokratischen Spielregeln noch seiner
Wortwahl so genau nimmt. Und weil er jetzt sogar mit dem Gedanken
spielt, in seinem Land die Todesstrafe wieder einzuführen. Auf
Neudeutsch alles sogenannte No-Gos! Akzeptiert! Die Vorwürfe sind
sicherlich nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern aus westlicher
Sicht wohl zutreffend, das Abwägen von Sanktionen mithin zulässig.
Aber was machen die Regierungschefs der EU-Staaten und die
Institutionen in Brüssel dann mit Russlands Präsident Wladimir Putin?
Verfolgt er seine Gegner nicht mit ähnlicher Härte? Oder mit den
eigenen Mitgliedsländern Polen und Ungarn? Wie ist es denn dort in
jüngster Zeit um die Demokratie bestellt? Bliebe zuletzt noch Donald
Trump und die USA in Gänze? Werden dort nicht beinahe täglich
Menschen hingerichtet? Und noch eine Frage: Messen Deutschland und
Europa im Hinblick auf die Türkei nicht mit zweierlei Maß? Der
dortige Staatspräsident wurde in freien und demokratischen Wahlen in
dieses Amt gehievt - schon vergessen? Im August 2014 erhielt Recep
Tayyip Erdogan trotz zweier Gegenkandidaten gleich im ersten Wahlgang
die absolute Mehrheit von 51,8 Prozent der Stimmen. Es war übrigens
das erste Mal, dass die Türken ihr Staatsoberhaupt direkt wählen
konnten, über Erdogans Vorgänger Abdullah Gül war 2007 noch vom
Parlament abgestimmt worden. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums in
der Türkei war die Vorgehensweise der regierenden AKP freilich wenig
glücklich - um es sehr vorsichtig zu formulieren. Und es kam auch zu
Ungereimtheiten, zu einem Wahlbetrug wohl aber nicht. Das denkbar
knappe Ergebnis von 51,4 Prozent darf daher von anderen Staaten sehr
wohl kommentiert werden - mehr aber auch nicht. Was würde die
deutsche Öffentlichkeit dazu sagen, wenn Schawkat Mirsijojew - er ist
Staatspräsident Usbekistans - nach der Bundestagswahl im September
verlautbaren würde, dass im Vorfeld nicht alle Parteien dieselben
Voraussetzungen gehabt hätten, weil nicht alle Spitzenkandidaten an
Fernseh-Duellen teilnehmen durften, die großen Volksparteien eine
höhere Wahlkampfkostenerstattung erhielten und der Urnengang somit
fragwürdig sei. Wahrscheinlich würde man ihm gewisse Extremitäten
zeigen und ihn - mindestens - in die Wüste Gobi wünschen. Nun sind
Merkel und ihre Kollegen aus den europäischen Hauptstädten vielleicht
nicht Mirsijojew - mehr Rechte haben sie deshalb aber auch nicht.
Sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen -
wie es vor allem bekannte Zeitgenossen aus dem Land der unbegrenzten
Möglichkeiten nur allzu gerne tun - bedeutet auch, sich über andere
zu erheben. Oder wie es Erdogan formulierte: "Wir können der
Europäischen Union nicht erlauben, über die Ergebnisse der
Volksabstimmung vom 16. April die Demokratie unseres Landes infrage
zu stellen." Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck
gebracht, den jeder respektieren müsse. Damit hat er Recht.
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