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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur "neuen Groko":

Geschrieben am 01-12-2017

Regensburg (ots) - Danke an Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier, er hat die einfachste, aber auch schlechteste aller
Lösungen erst einmal verstellt: Neuwahlen. So weit sind wir in
Deutschland mit unserer Parteiendemokratie denn doch noch nicht
heruntergekommen, dass sich bei sieben Parteien im Bundestag nicht
genügend fänden, die bereit wären, darüber zu reden, ob sie gemeinsam
das Land regieren wollen. Ein Land, von dem Politiker (und Bürger) im
Ausland nur träumen. Volle Kassen, brummende Wirtschaft, friedliche
Nachbarn - allerdings auch etwas wohlstandsverwöhnte Zeitgenossen.
Steinmeier zwingt die Parteien, von ihrer bloßen
Bauchnabelbetrachtung wieder abzulassen, die Augen zu heben und zu
sehen: Dass Neuwahlen nur die Ränder stärken würden, dass sie das
Ansehen der Demokratie und Deutschlands insgesamt schwächen, dass sie
im Übrigen wahrscheinlich nicht mal eine neue Lage bringen. Etwas
billig kommt jetzt die FDP weg, die eine Jamaika-Koalition aus einem
taktischen Kalkül heraus verworfen hat. Ebenso die Linke, die, egal
in welcher Konstellation, immer Opposition sagt. Weil sie davon lebt.
Die Wähler werden dieses Verhalten einmal beurteilen müssen. Echt
schwer wird es jetzt für die SPD. Dass sie nach der Wahl ihren
Ausstieg aus der großen Koalition erklärte, war richtig, denn dieses
schwarz-rote Bündnis hatte gerade 14 Prozentpunkte verloren. Außerdem
war ja die Erkenntnis nicht falsch, dass das Land wieder echte
politische Alternativen braucht. Aber gerade für die SPD als
Volkspartei muss in existenziellen Fragen die Losung lauten: Land vor
Partei. Ihr Vorsitzender Martin Schulz hätte das wissen können, ja
müssen, als die Jamaika-Sondierungen scheiterten, doch sein Reflex
war auch nur parteipolitisches Ego. An jenem Montag vor fast zwei
Wochen, als Schulz das Nein zur Groko noch kurz vor Steinmeiers
Appell bekräftigen ließ, machte er seinen entscheidenden Fehler. Nun
ist der SPD-Vorsitzende der schlechteste Kronzeuge, um seine Basis zu
erklären, warum sie die Biege machen soll. Und nicht mal
Kabinettsmitglied kann er mehr werden, weil dann alle sagen, es sei
ihm nur darum gegangen. Ein wichtiger Faktor ist jetzt die Zeit, und
zwar für jeden denkbaren Ausgang. Es muss Zeit ins Land gehen und
einige Inszenierungskunst aufgewandt werden, damit die verunsicherte
SPD-Basis diese Volte schluckt. Zum Spiel gehört, dass Schulz jetzt
noch offen lässt, ob er über eine große Koalition oder eine
Minderheitsregierung verhandelt. Das Grundgesetz ist an dieser Stelle
aber auch für die SPD kein Wunschkonzert: Es liegt nach der
Verfassung allein in der Macht von Bundeskanzlerin Angela Merkel -
und des Bundespräsidenten - ob es eine Minderheitsregierung gibt. Es
braucht auch Zeit, damit sich die angeschlagenen Boxer im Ring
erholen, neben Schulz, der den Parteitag vor sich hat, vor allem die
CSU. Rein technisch gesehen gibt es keinen Grund für übermäßige Eile.
Noch gibt es ja die geschäftsführende Regierung der großen Koalition.
Sie wird, so lange verhandelt wird, wahrscheinlich sogar besser
harmonieren als zu Zeiten der Jamaika-Sondierungen, als es im
Bundestag schon eine seltsame Parallelwelt der neuen Mehrheit gab.
Und wirklich dringende Gesetze stehen nicht an. Zeit braucht übrigens
auch die andere Lösung, die noch immer nicht ausgeschlossen ist:
Neuwahlen. Die Notwendigkeit dafür muss sich aus dem Scheitern aller
anderen Möglichkeiten ergeben. Wenn das der Fall ist, werden es auch
die Bürger akzeptieren. Aber erst dann.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

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