Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur von der SPD vorgeschlagenen Bürgerversicherung, Autor: Werner Kolhoff
Geschrieben am 12-12-2017 |
Regensburg (ots) - Ein verbeamteter Lehrer erzählte kürzlich, er
sei mit Schulterschmerzen in eine große orthopädische Privatpraxis
gegangen, die alles an Geräten hat, was nötig ist. Der Arzt sprach
drei Minuten mit ihm, vermutete einen Bandscheibenvorfall und
verordnete unter anderem eine Untersuchung im Computertomografen.
Sehr teuer. Es war dann doch nur eine Verspannung. Geholfen haben dem
Mann einfache Yoga-Übungen. Ein anderer Fall: Bei einem Frühpensionär
wurden Hautveränderungen durch Sonnenlicht festgestellt, die eine
Vorstufe des Weißen Hautkrebses sein können. Viele Millionen Menschen
haben das. Der Arzt empfahl sofort eine "photodynamische Therapie".
Die ist nicht zwingend und kostet viel. Die Privatversicherung zahlt
das, die gesetzliche nicht. Der Bruder des Mannes, behindert und
Geringverdiener, hat das Gleiche. Er muss mit dem Risiko leben. Das
System der privaten Krankenversicherung führt zu Diskriminierungen
der gesetzlich Versicherten. Lange Wartezeiten auf Facharzttermine,
schlechtere Behandlungen und höheren Zusatzkosten. Das fühlt sich
nicht nur an wie Zwei-Klassen-Medizin, das ist Zwei-Klassen-Medizin.
Dabei geht es nicht einmal um Arm oder Reich. Dass man sich über eine
Zusatzversicherung Zusatzleistungen kauft, etwa Chefarzt-Betreuung
und Einzelzimmer, das könnte man noch verstehen. Und das könnte auch
ein zukünftiger Markt für die Privatkassen sein. Hier geht es um die
Beamten. Sie machen den Großteil der privat Versicherten aus. Die
Kombination mit der Beihilfe, die anders als bei gesetzlich
Versicherten seitens des Arbeitgebers nicht 50 sondern 70 oder 80
Prozent der Kosten abdeckt, ist eine zusätzliche Privilegierung der
Staatsdiener, neben den üppigen Pensionen, für die sie auch schon
nichts bezahlen müssen. Dieses Privileg zahlt über die Steuern
perverserweise dann auch noch die Mehrheit der gesetzlich
Versicherten. Das Geschrei des Beamtenbundes - angeblich ist die
Funktionsfähigkeit des Staatswesens in Gefahr, wenn die private
Krankenversicherung abgeschafft wird - ist grotesk überzogen.
Außerdem sorgen die zwei unterschiedlichen Honorarsysteme auch für
zwei Klassen von Ärzten. Gedeckelte Kosten hier, überhöhte
Abrechnungssätze da. Haus- und Kinderärzte kommen gerade so über die
Runden, vor allem auf dem Land. Ärzte, die sich auf Privatpatienten
spezialisieren und viele davon haben, verdienen sich eine goldene
Nase. Die Lautstärke der Proteste vor allem der Fachärzte-Lobby
entspricht der Größe ihres Vorteils. Völlig neben der Sache ist das
Argument von Union und FDP, es gehe um den "Wettbewerb der Kassen".
Zwischen PKV und GKV gibt es keinen Wettbewerb, weil es Durchlässe
nur in eine Richtung gibt. Richtung Privatkassen. Die von der SPD
vorgeschlagene Bürgerversicherung mag nicht die goldene Lösung sein.
Das Konzept enthält viele Detailprobleme, auch hätte ein abrupter
Systemwechsel unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen. Aber was man
von CDU/CSU mindestens erwarten muss bei den heute beginnenden
Koalitionsgesprächen, ist eine Anerkennung der Probleme des
zweigeteilten Gesundheitsversicherungssystems an sich. Und dann auch
die Bereitschaft, an einer Reform zu arbeiten. Die Berufung einer
unabhängigen Experten-Kommission wäre ein sachgerechter Kompromiss,
analog der Hartz-Kommission für die Arbeitsmarktreformen. Sie müsste
freilich einen Reformauftrag haben. Bisher hat die Union jedoch eine
totale Denkblockade über das Thema verhängt. Das ist unter ihrem
Niveau und kann auch nicht das Niveau einer neuen Großen Koalition
sein. Mögen sich andere als Klientelpartei von Ärzten oder Beamten
empfehlen, eine Volkspartei, eine christliche zumal, darf nur die
Klientelpartei eines effektiven und zugleich gerechten
Gesundheitssystems sein, dem jeder Kranke gleich viel wert ist. Und
jeder Arzt auch.
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