Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur "angepeilten Neuauflage einer Großkoalition von Union und SPD":
Geschrieben am 14-01-2018 |
Regensburg (ots) - Erstens kommt es anders und zweitens als man
denkt, spottet der Volksmund, wenn eine Sache nicht so läuft, wie man
sich das gedacht hatte. Die angepeilte Neuauflage einer Großkoalition
von Union und SPD hat das Zeug dazu, grandios zu scheitern, ehe
überhaupt richtig verhandelt worden ist. Und das könnte an den
Sozialdemokraten liegen, die in dieser Woche einen höchst
unangenehmen und riskanten Ritt auf der Rasierklinge unternehmen.
Denn dass die SPD-Delegierten nächsten Sonntag auf dem
Sonderparteitag den Auftrag zu förmlichen Koalitionsverhandlungen
absegnen, ist ungewiss. Und dass später die gesamte Partei-Basis dem
Wiedereintritt in eine ungeliebte Merkel-Regierung zustimmen wird,
hängt ebenfalls am seidenen Faden. Aus enttäuschten Hoffnungen über
unerfüllte programmatische Wünsche, aus Frust auf bisherige
Groß-Koalitionen, die die SPD immer kleiner machten, aus Ärger über
die alles überwölbende Kanzlerin könnte sich eine nicht zu
unterschätzende Kontra-Stimmung gegen das Weiterregieren
aufschaukeln. Viele Jusos und Parteilinke und selbst einige aus der
SPD-Führungsriege trommeln laut gegen eine neue GroKo. Jetzt rächt
sich auch Martin Schulz' Führungsschwäche, der erst die Partei auf
knallharten Oppositionskurs trimmte und dann widerwillig in Gespräche
mit Merkel und Seehofer einwilligen musste. Käme die nächste
Groß-Koalition wegen des Widerstands innerhalb der SPD wirklich nicht
zustande, würde das nicht nur die Partei vollends zerreißen und
wahrscheinlich deren Führung zertrümmern, sondern es wäre auch das
Weglaufen vor staatspolitischer Verantwortung. Schulz und Co. haben
nicht viel Zeit, die Basis von den Vorteilen einer neuen GroKo zu
überzeugen. Dabei ist der Frust vieler Genossen über die aus ihrer
Sicht mickrigen Sondierungs-Ergebnisse noch zu verstehen. Weder
höhere Steuern für Reiche noch eine Reform der Krankenversicherung -
Stichwort Bürgerversicherung - haben die SPD-Verhandler hinbekommen.
Dabei hatte man vorher den Mund sehr voll genommen. Die eigentlich
immer staatstragende SPD ist hin und hergerissen zwischen
Totalopposition, in der die Genesung und der Wiederaufstieg gelingen
sollen, sowie dem Mitregieren in einer unionsgeführten Regierung
andererseits, in der viele kleine Maßnahmen aus der SPD-Programmatik
umgesetzt werden könnten. Aber eben nicht alles. Die lauten
GroKo-Zweifler und bissigen -Fundamental-Kritiker in der SPD machen
sich allerdings keine Gedanken über die Alternativen. Glaubt denn
wirklich jemand bei Jusos und Parteilinken, dass in einer
Minderheits-Regierung Merkels oder in einer doch noch zustande
kommenden Jamaika-Regierung so viele SPD-Punkte durchgesetzt würden,
wie sie jetzt festgezurrt sind? Von vorzeitigen Neuwahlen ganz zu
schweigen, die den deutschen Sozialdemokraten ein ähnliches Schicksal
bescheren könnten, wie den Sozialisten in Frankreich, den
Niederlanden oder Italien. Auch in Deutschland könnte die SPD in die
Bedeutungslosigkeit geschickt werden. Nach Neuwahlen würde ihr
vermutlich gar nicht mehr die Frage gestellt werden, ob sie
mitregieren wolle. Und dass die Partei in der Opposition zu
Schlagkraft und Wählerzustimmung zurück finden könnte, ist ein weit
verbreiteter Irrglaube. Nach vier Jahren in der Opposition unter
einer schwarz-gelben Regierung von 2009 bis 2013 ging es der SPD kaum
besser als nach der GroKo-Zeit davor. Dass die Partei auch in einer
Groß-Koalition Profil gewinnen und bei den Wählern zulegen kann,
hatte einst Willy Brandt gezeigt. Aber der damalige SPD-Chef und
Wir-wollen-Demokratie-wagen-Kanzler hatte ein zugkräftiges, klares
Programm sowie mitreißendes Charisma. Ähnliches lässt sich vom
heutigen Spitzenpersonal der SPD allerdings nicht sagen.
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