Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur politischen Lage in Italien: "Tanz in den Abgrund" von Julius Müller-Meiningen
Geschrieben am 23-08-2018 |
Regensburg (ots) - Italien ist der traurige Protagonist dieses
Sommers. In einer Schlucht in Kalabrien wurden am Montag zehn
Wanderer Opfer eines unerwartet starken Regenfalls. Eine Woche zuvor
starben 43 Menschen beim Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua. Seit
bald drei Monaten ist eine neue Regierung im Amt, die vor allem durch
schockierende Auftritte besticht. Sie weist Migranten, die über das
Mittelmeer flüchten, in italienischen Häfen ab. Nach dem Einsturz der
Autobahnbrücke surft die Regierung auf einer Welle der Empörung, die
das Land durchzieht. Bevor die Unglücksursache festgestellt ist,
haben die Minister von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega die Schuldigen
bereits in der Investoren-Familie Benetton ausgemacht, die die
Aktienmehrheit an der Autobahn-Betreibergesellschaft hält.
Innenminister Matteo Salvini, der Mann, der maßgeblich die ultraharte
Asylpolitik verantwortet, zeigte sein besonderes Talent als
Lippenleser der Massen, als er die Sparpolitik der EU für den
Brückeneinsturz mitverantwortlich machte. Je unbeliebter und
ungreifbarer die mutmaßlichen Verantwortlichen sind, desto schneller
werden sie in Italien zu Schuldigen abgestempelt. Die Tendenz ist
eindeutig: Nicht nur Flüchtlinge, vor deren Zustrom sich viele
Menschen fürchten, sollen mit immer radikaleren Methoden abgewehrt
werden. Auch die Verantwortung für viele Missstände wird kollektiv
abgeschoben. Die Regierung verstärkt nur einen Effekt, der auch im
Kleinen etabliert ist. Selten erkennen die Menschen die Ursache für
Missstände bei ihnen selbst, es ist viel einfacher, die oft
ungreifbaren Institutionen oder andere für die Versäumnisse
verantwortlich zu machen. Im Fall der ertrunkenen Wanderer in
Kalabrien wurden schon am Tag nach dem Unglück Stimmen laut, die
mangelnde Umsicht der Behörden beklagten. Im Fall der Autobahnbrücke
nutzt die erst seit drei Monaten amtierende Regierung ihren
Newcomer-Status skrupellos aus. Deshalb zeigt sie voreilig mit dem
Finger auf die vermeintlichen Schuldigen. In ein paar Jahren, sollte
das Bündnis überhaupt noch im Amt sein, wäre diese unverantwortliche
Haltung nicht mehr möglich. Das sind die Zukunftsaussichten für
Populisten, die Kapital aus den Versäumnissen der Vergangenheit
schlagen wollen. Die italienische Regierung befindet sich noch im
Honeymoon mit ihren Wählern. Man muss kein Hellseher sein, um das
Ende der Romanze vorauszusehen. In Italien sind die Folgen dieser
Kurzsichtigkeit besonders gut zu beobachten. In großen Teilen der
Bevölkerung haben Pessimismus, Enttäuschungen, Angst und eine latente
Aggressivität spürbar zugenommen. Schuld sind immer die anderen. Das
gilt auch für die italienischen Staatsfinanzen. Das Land ächzt
bekanntlich unter einer Staatsschuld von rund 2,3 Billionen Euro. Im
Turnus wird das abstrakte Gebilde der EU für die finanzielle Not der
Staatskassen verantwortlich gemacht, obwohl etliche nationale
Regierungen mit horrender Staatsverschuldung ihr Land und den
Kontinent sehenden Auges ins Dilemma manövrierten. Seither dreht sich
die Diskussion ohne Ergebnis im Kreis. Soll die Wirtschaft mit
zusätzlichen Staatsausgaben angekurbelt werden oder kann der
Schuldenberg durch Sparmaßnahmen langsam abgebaut werden? Im Zuge der
türkischen Währungskrise ist auch wieder von Italien als finanzieller
Achillesferse der Euro-Zone die Rede. Das bestimmende, auf
ununterbrochenem Wachstum basierende Wirtschaftsmodell bekommt in
Italien seit Jahren seine selbstmörderischen Aspekte im Spiegel
vorgehalten. Es ist zu einfach, auf die unverantwortlichen Südländer
zu zeigen, die angeblich auf Pump leben. Dass die Verantwortung über
die Landesgrenzen hinaus geht, zeigt schon die Tatsache, dass ein
Kollaps der italienischen Staatsfinanzen europaweite Folgen hätte.
Wir sitzen im selben Boot, klagen uns aber gegenseitig an. Die
Finanzpolitik gibt keine glaubwürdigen politischen Antworten auf
diese Misere. Manchmal hat man den Eindruck, nur der Zusammenbruch
könnte heilende Wirkung entfalten. Andernfalls scheint der Druck zur
Veränderung zu gering.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
651093
weitere Artikel:
- Frankfurter Rundschau: Nur ein Teil des Problems Frankfurt (ots) - Rechte Polizisten sind nur ein Teil des
Problems, welches das ganze Land schon seit einigen Jahren
durchzieht: die Erosion der Verhältnisse, des Respekts, der
Umgangsformen. Sachsen ist gespalten, es schwindet rasant das
Vertrauen in Institutionen der Politik oder Justiz. Viele Leute sind
dauerwütend - und man sieht es ihnen an. Und es geht oft gar nicht um
Flüchtlinge. Nicht die Mehrheit, natürlich nicht, um gleich den
Vorwurf der pauschalen Verurteilung abzuräumen. Es gibt auch die
anderen, die weltoffenen, die mehr...
- neues deutschland: Tiefer Sumpf - Kommentar zu rechten Verstrickungen in Sachsen Berlin (ots) - Der Fall eines LKA-Manns, der mit dem
Pegida-Bündnis sympathisiert und dazu beitrug, dass Journalisten an
der Arbeit gehindert wurden, ist ein weiterer Beleg dafür, wie tief
der rechte Sumpf in Sachsen mittlerweile ist. Die Rechten sind in
weiten Teilen der Bevölkerung längst salonfähig geworden. Obwohl
Pegida schon seit Jahren in der Landeshauptstadt marschiert, die AfD
wächst und es eine hohe Zahl rechter Gewalttaten im Freistaat gibt,
ist eine Gegenstrategie der Bundes- oder Landespolitik bislang
ausgeblieben. mehr...
- Allg. Zeitung Mainz: Fürchterlich / KORREKTUR des Kommentars von Reinhard Breidenbach zu Sachsen und Pegida Mainz (ots) - Im Herbst 1989 gingen mutige Menschen vor allem in
Leipzig auf die Straße. Sie riefen "Wir sind das Volk" und erzwangen
die friedliche Revolution. Knapp 30 Jahre später ist Sachsen eine
Hochburg von Rechtsextremisten, in Dresden geht Pegida auf die
Straße, brüllt Rassismus in die Welt und ein Mitarbeiter des
Landeskriminalamtes animiert "privat" Polizisten dazu,
ZDF-Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. Was ist da bloß
passiert, in denen zurückliegenden 30 Jahren? Der
Politikwissenschaftler Hans Vorländer hat erklärt, mehr...
- Westdeutsche Zeitung: Bluttest für Schwangere zur Feststellung von Down Syndrom, Kommentar Düsseldorf (ots) - Eine Debatte, vor der man sich nicht drücken
darf Von Peter Kurz Auf den ersten Blick erscheint es wie eine
Selbstverständlichkeit - gewiss doch sollte das eine von den
Krankenkassen bezahlte ärztliche Leistung werden: Kann durch einen
Bluttest einer Schwangeren zuverlässig eine Diagnose auf Down Syndrom
gestellt werden, für die es ansonsten einer Fruchtwasseruntersuchung
mit dem Risiko einer dadurch ausgelösten Fehlgeburt bedürfte - dann
muss man das doch anbieten. Und da sollte der Gemeinsame
Bundesausschuss, mehr...
- Das Erste, Freitag, 24. August 2018, 5.30 - 9.00 Uhr
Gäste im ARD-Morgenmagazin Köln (ots) - 7.35 Uhr, Martin Dulig, SPD, Thema: Pegida
8.05 Uhr, Bert Rürup, ehemaliger Wirtschaftsweiser, Thema:
Rente/Arbeit
Pressekontakt:
Weitere Informationen unter www.ard-morgenmagazin.de
Redaktion: Martin Hövel
Kontakt: WDR Presse und Information, wdrpressedesk@wdr.de, Tel. 0221
220 7100
Agentur Ulrike Boldt, Tel. 02150 - 20 65 62
Original-Content von: ARD Das Erste, übermittelt durch news aktuell mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|