Mittelbayerische Zeitung: Der Richtige für den Chefsessel? / Mit Weber kandidiert ein Mann des Ausgleichs für den mächtigsten Job in Brüssel. Er muss noch zeigen, dass er den Aufgaben gewachsen ist. V
Geschrieben am 05-09-2018 |
Regensburg (ots) - Die entscheidende Frage, die sich mit Manfred
Webers Kandidatur für die Juncker-Nachfolge stellt, lautet nicht, ob
ein Deutscher sich auf einen so machtvollen EU-Posten bewerben
sollte. Walter Hallstein, der einzige Deutsche, der je den Posten des
Kommissionspräsidenten innehatte, räumte ihn vor 51 Jahren -
übertriebene Ambitionen kann uns in dieser Sache also niemand
nachsagen. Man muss sich hingegen damit befassen, ob Weber in der
aktuellen Lage der Richtige für den Job ist. Der Niederbayer gilt als
Mann des Ausgleichs. Einer, der Angela Merkel und den ungarischen
Hardliner Victor Orban gleichermaßen für sich gewinnen kann, schafft
es vielleicht auch, die tiefe Kluft zu überbrücken, die sich zwischen
Ost- und Westeuropa aufgetan hat. Mit genau diesem Argument bewirbt
sich der EVP-Fraktionschef um die Wählergunst. Doch könnte gerade
diese Geschmeidigkeit auch viele Wähler davon abhalten, der EVP ihre
Stimme zu geben. Seit Jahren tritt Orban die Demokratie mit Füßen und
zeigt der EU den Stinkefinger. Kommende Woche wird das Parlament
vermutlich beschließen, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel
7 gegen Ungarn zu fordern. Wenn Weber zu dem steht, was er bislang
öffentlich bekannt hat, müsste er diesen Antrag eigentlich
unterstützen. Doch vermutlich wird er das nicht tun, um seine Chancen
bei der Kandidatenkür nicht zu schmälern. Seine Analyse stimmt
durchaus: Die Zahl derer, die sich in der EU mit ihren Sorgen und
Nöten nicht mehr gut aufgehoben fühlen, wächst ebenso wie die Kluft
zwischen Ost und West. Die Menschen machen ihrem Frust und ihrem
Ärger Luft, indem sie europafeindliche Parteien wählen. Doch kann ein
Mann wie Weber sie zum Umdenken bewegen? Wer seine Bewerbungsrede
gestern gehört hat, muss daran zweifeln. Es gehe um Europas
Selbsterhalt, die Verteidigung der gemeinsamen Werte, um das
Überleben des europäischen Freiheitsmodells - so umriss er seine
künftigen Ziele. So oder so ähnlich hat das auch Jean-Claude Juncker
schon dutzendfach gesagt. In seiner Amtszeit werde sich Europas
Fortbestehen oder Untergang entscheiden, hatte er recht pathetisch
vor vier Jahren prophezeit. Seither ist die Zahl der Euroskeptiker
und derer, die die EU abschaffen möchten, weiter gestiegen. Obwohl
Weber mit seinen 46 Jahren für EU-Verhältnisse ein vergleichsweise
junger Politiker ist, spricht er die Sprache der älteren Herren, die
die Verheerungen noch selbst erlebt haben, die überzogener
Nationalismus anrichten kann. Die Lehren aus der Geschichte sind
unverändert gültig, doch man muss für die jüngere Generation ein
Wir-Gefühl entwickeln, das über die Botschaft "Nie wieder Krieg"
hinausgeht. Emmanuel Macron hat es in Frankreich vorgemacht, ein
Rezept für die gesamte EU ist das aber ganz sicher nicht. Man muss
für die jüngere Generation eine länderübergreifende Botschaft finden.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die es unerschrocken mit
digitalen Konzernen aufnimmt, trifft mit ihrem Kampf für mehr
Steuergerechtigkeit einen Nerv. Ihr traut man zu, sich von Donald
Trump nicht einschüchtern und von Wladimir Putin nicht vorführen zu
lassen. Erst kürzlich hat sie mit einer weit gespannten Europarede
deutlich gemacht, dass ihr Horizont nicht bei ihren aktuellen Themen
Wettbewerb und Beihilferecht endet. Derartige Konturen muss Weber
erst noch gewinnen. Sein Job als EVP-Fraktionschef verschafft ihm
zwar breite Unterstützung in der Partei, hindert ihn aber daran, im
Wahlkampf klare Akzente zu setzen. Sein Vorschlag, Europas Jugend im
Sommer mit Gratistickets auf Reisen zu schicken, reicht als
Reformprogramm nicht aus.
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