Allg. Zeitung Mainz: Am Abgrund / Friedrich Roeingh zur Lage der SPD
Geschrieben am 21-09-2018 |
Mainz (ots) - Der Zuspruch, den eine Partei am wenigsten
gebrauchen kann, ist Mitleid. Arme SPD! Die SPD aber hat sich ihr
Mitleid redlich verdient. Die bedeutendste Partei der deutschen
Demokratiegeschichte, die aufrichtigste Volkspartei der
Nachkriegszeit, strebt zielgerichtet ihrem fortschreitenden
Bedeutungsverlust zu. Einer politischen Marginalisierung, die wir
noch lange bedauern werden. Die SPD hat nicht nur das Problem, dass
sie kaum noch Antworten auf die Probleme unserer Zeit findet. Sie
schafft es auch noch instinktsicher, die Probleme anderer Parteien zu
ihren eigenen zu machen. Der Fall Maaßen ist dafür das beste
Beispiel. Verloren haben in dem Machtspiel um den
Verfassungsschutzpräsidenten zwar alle Beteiligten dieser Regierung,
aber niemand so sehr wie die SPD. Die Kanzlerin hat erneut ihre
verstörende Schwäche unter Beweis gestellt. Bis zu Merkels Ablösung
müsste man die Vokabel Richtlinienkompetenz eigentlich aus der
Verfassung streichen. Horst Seehofer hat bewiesen, dass er bis zu
seinem Abtritt - hoffentlich nach der Bayernwahl - alles mit in den
Abgrund zieht, was sich ihm in den Weg stellt. Die SPD aber hat
gleich einen doppelten Ausfall hingelegt. Sie hat im Fall Maaßen auf
brutale Weise vorgeführt bekommen, dass die alte Rechnung nicht mehr
aufgeht: Wer den Rücktritt einer Figur erzwingt, hat das Machtspiel
gewonnen. Gewonnen hat in diesem Drama, von dem sich der Bürger mit
Grausen abwendet, allein die AfD. Zugleich sind wir Zeugen eines ganz
persönlichen Ausfalls geworden: dem Ausfall der SPD-Vorsitzenden
Andrea Nahles. Wie eine Anfängerin hat sie sich von Horst Seehofer in
die selbst gestellte Falle locken lassen. Diese Panne ist auch nicht
mehr zu heilen, wenn sich der Innenminister jetzt doch noch einmal
gesprächsbereit zeigt. Die Genossen tun scheinbar alles dafür, um bei
der Bayernwahl vom aktuell dritten Platz noch auf den fünften Platz
durchgereicht zu werden. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis ihr
die Grünen bundesweit den Platz als stärkste linke Kraft streitig
machen. Ganz zu schweigen von der Frage, ob die SPD im Osten
Deutschlands jemals wieder ein Bein an die Erde bekommen wird. Da ist
guter Ratschlag mehr als teuer. Wir haben nämlich bald den Glauben
daran verloren, dass es in der SPD noch genügend Politiker gibt, die
die Partei vor ihrem beschleunigten Absturz bewahren können. Figuren,
die ihre Politik nicht nach der Befindlichkeit innerer Zirkel
ausrichten, sondern an den Erwartungen von Facharbeitern,
Krankenpflegern, Grundschullehrern, Polizisten und Rentnern.
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