Mittelbayerische Zeitung: Der Anfang vom Ende / 25 Monate nach dem Beginn der Ermittlungen startet heute mit dem Wolbergs-Prozess ein Verfahren der Superlative - endlich! / Von Marianne Sperb
Geschrieben am 23-09-2018 |
Regensburg (ots) - Endlich! Nach zwei Jahren, drei Monaten und
zehn Tagen beginnt heute in Regensburg der Wolbergs-Prozess. Der 24.
September markiert den Anfang vom Ende einer Affäre, die Regensburg
erschüttert: politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, moralisch.
Nach einer quälend langen Phase, in der hinter vorgehaltener Hand
spekuliert, laut behauptet, strikt bestritten und öffentlich gefühlt
wurde, sprechen ab heute die Fakten. Endlich wird absehbar, wann
Regensburg mit der Vergangenheit abschließen und wieder Zukunft
gestalten kann. In Sitzungssaal 104 sind 42 Plätze für Zuhörer
reserviert. Für alle anderen Bürger wird unser Medienhaus das Ohr und
das Auge sein. Wir werden das Verfahren intensiv verfolgen und über
alle Kanäle transparent machen: in Print-Beiträgen und Podcasts, im
Live-Ticker, in Online-Texten, Bildern, Videos und in den sozialen
Netzwerken. Zuletzt wurde uns auch die Frage gestellt, ob so viel
Berichterstattung sein muss. Wir meinen: ja. Umfang und Bedeutung
dieses Falls lassen gar nichts anderes zu. Wie unabhängig agierte der
höchste Mann der Stadt? Wie sauber laufen in Regensburg Geschäfte ab?
Wird Joachim Wolbergs verurteilt oder wird er in das Amt des
Oberbürgermeisters zurückkehren können? Worauf dürfen Beamte und
Bürger vertrauen und bauen, wo brechen Gewissheiten ein und wie muss
Kontrolle künftig aussehen? So lange diese Fragen offen sind, so
lange lastet über dem langfristigen politischen und wirtschaftlichen
Handeln in Regensburg eine Wolke der Ungewissheit. Eine Stadt lebt im
Schwebezustand. Auf konstant gute oder konstant schlechte Situationen
kann man sich einstellen - auf unkalkulierbare Rahmenbedingungen
nicht. Im spekulationsoffenen Raum gibt es keine Planungssicherheit.
Die Unklarheiten lähmen ausgerechnet eine Metropole, in der die
Wirtschafts- und die Einwohnerzahlen rasant wachsen, in der
bezahlbare Wohnungen so selten sind wie Trüffeln - und Immobilien so
teuer. Auch daraus bezieht der Wolbergs-Prozess seine herausragende
Tragweite. Der Fall ist rekordverdächtig, die Rahmendaten
spektakulär. Sieben Staatsanwälte und 69 Kripobeamte schwärmten 2016
aus, um einen Berg an Material in Amtszimmern, Wohnungen und Firmen
zu sichern. Die Ermittler trugen vier Terabyte an Informationen
zusammen, eine kaum vorstellbare Menge, die ungefähr 550 000 Mal dem
ersten Harry-Potter-Band entspricht. Zwei Millionen E-Mails wurden
beschlagnahmt und geprüft, 342 Stunden Telefonate mitgeschnitten. Die
Staatsanwaltschaft hat sich viel Zeit genommen, um Vorwürfe und
Verdachtsmomente gegen den suspendierten Oberbürgermeister und drei
Mitangeklagte zu untersuchen. Auch das Gericht will sehr ausführlich
alle Argumente prüfen. Der Prozess wird mit 70 Verhandlungstagen der
längste, den Regensburg je erlebt hat. Im Mai 2019 könnte ein Urteil
fallen - falls es nicht noch länger braucht, um alle Fragen zu
klären. Das Gericht hat 28 zusätzliche Prozesstage reserviert, das
Urteil würde dann im September 2019 stehen - falls es rechtskräftig
wird. In Fachkreisen hält man es sogar für möglich, dass die Causa
beim Bundesgerichtshof oder gar beim Bundesverfassungsgericht landen
wird. Der Regensburger Fall wird als eine der größten kommunalen
Spendenaffären der deutschen Nachkriegszeit gehandelt. Man muss schon
sehr suchen, um in der Politik Prozesse ähnlicher Dimension zu finden
- und stößt dann schnell auf Christian Wulff. Das Verfahren war auf
22 Tage angesetzt, das Urteil fiel nach drei Monaten. Der Fall des
Bundespräsidenten a.D. zeigt auch: Die Wucht, mit der die Justiz
vorgeht, muss nichts aussagen über die Wahrheit, die das Gericht am
Ende finden wird. Bei den Ermittlungen zu Wulff wurden 93 Zeugen
befragt, eine Million Dateien ausgewertet und geschätzt zwei
Millionen Euro ausgegeben. Das Urteil lautete: Freispruch.
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