Mittelbayerische Zeitung: Macron hat Porzellan zerschlagen. Der französische Präsident wird wohl kein Reformprogramm mehr durchsetzen können - das hat weitreichende Folgen. Von Daniela Weingärtner
Geschrieben am 12-12-2018 |
Regensburg (ots) - Als Emmanuel Macron vor 19 Monaten die
französischen Präsidentschaftswahlen gewann, jubelte ihm Europas
Elite zu. Endlich war der Trend gebrochen. Mit einer proeuropäischen
Kampagne hatte er die EU-Hasserin Marine le Pen bezwungen. Der
populistische Siegeszug nationalistischer Parteien schien gestoppt,
der Brexit und Donald Trumps Twitter-Tiraden verloren ein wenig von
ihrem Schrecken. Doch nach den gewaltsamen Protesten der vergangenen
Tage steht Emmanuel Macron vor dem Scherbenhaufen seiner Politik. Vom
Bild des strahlenden, mutigen Reformers ist nichts geblieben. Die
Folgen sind nicht nur für Frankreich, sondern für die gesamte EU
verheerend. Besänftigungsgeschenke im Umfang von zehn Milliarden Euro
könnten dazu führen, dass Frankreich ein weiteres Mal die
Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent reißt. Doch das ist nicht das
größte Problem. Bei der Gesamtverschuldung steht das Land mit knapp
100 Prozent Bruttoinlandsprodukt noch immer deutlich besser da als
Italien. Viel gravierender ist, dass Macron nun wohl keines der
Reformprogramme mehr wird durchsetzen können, die Frankreichs
Wirtschaft wieder konkurrenzfähig und die Sozialsysteme
überlebensfähig machen sollten. Inspiriert durch die in Deutschland
erfolgreiche Agenda 2010 wollte Macron eigentlich die Lohnkosten
senken, den Kündigungsschutz lockern und die Ausbildung verbessern.
Damit sollte vor allem die noch immer viel zu hohe
Jugendarbeitslosigkeit reduziert werden. Frankreichs Wirtschaft
sollte den dringend benötigten Wachstumsimpuls bekommen. Das alles
wird nun nicht passieren. Deshalb wird die Rechnung für den Aufstand
der Gelbwesten mittelfristig noch viel höher ausfallen, als es die
Sofortmaßnahmen nahelegen. Die nordischen, einen strikten Sparkurs
befürwortenden Länder, vor allem Deutschland, haben einen Partner
verloren, der mit dem Versprechen angetreten war, sein Land fürs 21.
Jahrhundert fit zu machen und dafür zu sorgen, dass es nicht zur
Belastung für die Eurozone wird. Im Gegenzug sollten die
Währungspartner bereit sein, das Risiko künftig auf alle Schultern zu
verteilen, Stichwort: EU-Einlagensicherung,
EU-Arbeitslosenversicherung und Europäischer Währungsfonds. Es ging
darum, auf nationaler Ebene mehr Marktliberalismus durchzusetzen und
im Gegenzug Europa sozialer zu machen. Für die Europawahl im
kommenden Juni sind die Vorgänge in Frankreich ein weiteres
schlechtes Omen. Die Beliebtheitswerte Macrons sind im Keller, sein
proeuropäischer Kurs ist gescheitert. Die Hoffnungen auf einen
europaweiten liberalen Siegeszug, der den befürchteten Aufstieg
nationalistischer Kräfte bremsen könnte, sind zerstoben. Auch die
populistische Regierung in Rom triumphiert angesichts von Macrons
Niederlage. Matteo Salvini ist überzeugt, dass man Frankreichs
Präsidenten in Brüssel angesichts seiner Schwierigkeiten zuhause mit
Samthandschuhen anfassen und die Regeln des Stabilitätspakts für
Frankreich ein weiteres Mal lockern wird. Sollte das geschehen,
müsste auch das Defizitverfahren gegen Italien gestoppt werden. Doch
Europa darf sich nicht von zornigen Demonstranten die Regeln
diktieren lassen. Macrons Kollegen müssen deutlich machen, dass in
einem gemeinsamen Währungsraum letztlich alle die Zeche für seine
Besänftigungsgeschenke und seine gebrochenen Reformversprechen
zahlen. Bei den Wählern in den anderen Ländern der Eurozone könnte
das nationalistische und antieuropäische Reflexe weiter verstärken
und die Bereitschaft zur Solidarität senken. Mit seinem Kurswechsel
hat Macron vielleicht ein paar Fensterscheiben in Paris gerettet, auf
europäischer Ebene aber viel Porzellan zerschlagen.
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