Mittelbayerische Zeitung: Warmlaufen für Europa. Auch die Linke stellt sich mittlerweile ins Lager der EU-Befürworter unter den deutschen Parteien. Die richtige Leidenschaft für Europa fehlt allerdin
Geschrieben am 24-02-2019 |
Regensburg (ots) - Die Europäische Union steht heuer
wahrscheinlich vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte. Die
Bindekräfte der Staatengemeinschaft scheinen nachzulassen und die
Fliehkräfte sind enorm, nicht nur wegen des Brexits der europamüden,
aber völlig kopflosen Briten. In Ungarn, Polen, Frankreich, Italien
bis in die Niederlande, Schweden oder Finnland kratzen
rechtspopulistische EU-Kritiker am Fundament der Union. Die
Europa-Wahl im Mai wird zu einer Schicksalswahl. Wird die EU künftig
von einem Parlament getragen, das die Union voranbringen,
modernisieren will, oder triumphieren jene, die sie zerstören wollen?
Erfreulicherweise füllt sich das Lager der Befürworter der EU.
Zumindest unter den deutschen Parteien. Ohne die erkrankte
Europa-Fundamentalkritikerin Sahra Wagenknecht hat sich auch die
Linke am Wochenende in Bonn klar zur Union bekannt. Linken-Übervater
Gregor Gysi redete seinen Genossen noch einmal ins Gewissen, weil die
Linke die EU bislang ziemlich dämonisiert hatte, sie immer wieder als
unsozial, undemokratisch, ökologisch nicht nachhaltig und sogar
militaristisch brandmarkte. Zumindest bei diesem Anti-EU-Vokabular
soll es nicht bleiben. Zugleich tritt die Linkspartei mit zwei
weithin unbekannten, aber immerhin noch recht jungen
Spitzenkandidaten an. Der Spruch: Hast du einen Opa, schick ihn nach
Europa, gilt nicht mehr. Gysi ermahnte in Bonn eindringlich, die
Linke müsse eine positive Vision von Europa bieten. Man hätte sich
andernfalls auch - ungewollt - an der Seite der AfD wiedergefunden.
Die deutschen Rechtspopulisten bringen sogar das Kunststück fertig,
einerseits die EU rundweg abzulehnen und auflösen zu wollen, aber auf
der anderen Seite dennoch für das Parlament zu kandidieren. Im
bisherigen Straßburger Parlament sitzt übrigens noch der AfD-Gründer,
Hamburger Wirtschaftsprofessor und Euro-Kritiker Bernd Lucke. Doch
mit der jetzigen Partei hat der nichts mehr zu schaffen. Die Brisanz
der anstehenden Europa-Wahl steht allerdings im Gegensatz zu der
recht lauen Stimmung im Land. Das Warmlaufen für den Wahlkampf hat
noch nicht so richtig begonnen. Und die richtige Leidenschaft für
Europa ist ebenfalls noch nicht zu verspüren. Und das hat weniger
damit zu tun, dass noch ein Vierteljahr Zeit ist bis zum wichtigen
Urnengang, sondern mit anderen Defiziten. So kann sich die CSU zwar
auf die Schulter klopfen, dass mit dem Spitzenkandidaten Manfred
Weber erstmals einer von den Christsozialen für die Parteienfamilie
ganz vorne steht. Der CSU-Mann kämpft, tingelt durch die
Mitgliedsländer. Doch immer wieder wird der EVP-Spitzenmann von
ungeklärten Verhältnissen eingeholt. Einen klaren Schnitt, etwa den
Rauswurf der ungarischen Fidesz des rechtspopulistischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban aus der Parteienfamilie EVP,
unternimmt auch Weber nicht. CDU und CSU verhalten sich gegenüber
Orban, der die Wahl zu einer "finalen Schlacht" erklärt hatte, wie
die Großfamilie gegenüber dem missratenen Onkel. Man mag ihn nicht,
teilt nicht seine Ansichten, doch von der Familienfeier wird er nicht
ausgeschlossen. Mit Orban macht sich Weber im Wahlkampf angreifbar.
Mit dem Spitzenmann der europäischen Sozialdemokratie, dem
Niederländer Frans Timmermans, wird Weber indes nicht einen solch
fast schon harmonischen Wahlkampf führen, wie Jean-Claude Juncker und
Martin Schulz. Der glühende Europäer Schulz holte vor fünf Jahren
immerhin 27 Prozent der Stimmen. Mit dem ziemlich unbekannten
Timmermans und der blassen SPD-Spitzenkandidatin und Justizministerin
Katarina Barley scheint ein solches Ergebnis im Mai illusorisch. Doch
eine schwache Sozialdemokratie wäre nicht gut für Europa.
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