Mittelbayerische Zeitung: Nichtwissen ist auch keine Lösung/Der Bluttest zur Früherkennung des Down-Syndroms ist umstritten. Die Debatte geht aber an der eigentlichen Frage vorbei. Von Katia Meyer-Tie
Geschrieben am 03-05-2019 |
Regensburg (ots) - Für die einen ist es der Deckel zur Büchse der
Pandora, für die anderen eine ersehnte Erleichterung: Der Gentest,
mit dem sich durch eine Untersuchung des Blutes einer Schwangeren
relativ sicher feststellen lässt, ob ihr Baby mit dem Down-Syndrom,
dem Pätau-Syndrom oder dem Edwards-Sydrom zur Welt kommen wird. Der
Test könnte ab Herbst kommenden Jahres zur Kassenleistung werden und
bei Risikoschwangerschaften mit Verdacht auf eine Chromosomenanomalie
die bislang übliche, risikoreichere Fruchtwasseruntersuchung
ersetzen. Die Entscheidung darüber soll im August fallen. Das Thema
wird in den kommenden Monaten immer wieder die Schlagzeilen
bestimmen, auch der Bundestag diskutierte unlängst darüber. Denn der
Einsatz des Testes berührt zwei große Themen: Die Frage, wie die
Gesellschaft der Zukunft aussehen und mit Menschen mit Behinderung
umgehen soll ebenso wie die Frage, wie weit das
Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mutter und ihrer Familie reicht.
Befürworter des Tests argumentieren mit dem Recht der Mutter,
erfahren zu dürfen, ob ihr Kind gesund ist. Und zwar mit der Methode,
die das geringste Risiko für Mutter und Kind bedeutet. So dass sie
eine eigenständige Entscheidung darüber treffen kann, ob sie sich
zutraut, einem behinderten, möglicherweise lebenslang
hilfsbedürftigen Kind ein gutes Leben zu bieten. Gegner des Tests
führen an, dass mit einer leichteren Identifizierung von
Behinderungen auch deren Eliminierung vereinfacht wird - gerade vor
dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein drastisches Argument.
Dass Eltern, die sich gegen den Test oder im Anschluss an den Test
gegen eine Abtreibung und für ein behindertes Kind entscheiden, immer
mehr unter Rechtfertigungsdruck geraten könnten. Und dass die
Etablierung des Tests als Kassenleistung Tür und Tor öffnet für die
Zulassung weiterer Testverfahren, die auch andere Behinderungen
erkennen und womöglich ausmerzen können. Die Argumente zeigen, wie
selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mehrheit der
Eltern sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, wenn sie
von einer Behinderung ihres Kindes erfahren. Schon jetzt werden etwa
neun von zehn Schwangerschaften, bei denen ein Down-Syndrom
diagnostiziert wird, vorzeitig beendet. Häufig, weil die werdenden
Eltern befürchten, das Leben mit einem behinderten Kind nicht
meistern zu können. Und vielleicht liegt hier das eigentliche,
größere Problem. Dass werdende Eltern behinderter Kinder gar keine
freie Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung treffen können,
solange sie fürchten müssen, im Alltag mit einem behinderten Kind
überfordert, allein gelassen oder stigmatisiert zu werden. Die
Diskussion über Sinn und Unsinn eines Testes, der ohnehin bereits
zugelassen, für Selbstzahler problemlos verfügbar ist und nur ein
bereits gängiges, aber unsichereres Verfahren ersetzen soll, ist
überflüssig. Die Büchse der Pandora ist schon offen, aber ob es
wirklich Übel sind, die daraus entweichen, muss sich erst noch
zeigen. Denn es ist Fakt, dass die Pränataldiagnostik immer präziser
arbeitet und Gendefekte immer früher und genauer festgestellt werden
können. Und es ist fair sowohl den Eltern - wenn diese das wollen -
als auch den Kindern gegenüber, diese Tests zuzulassen und Eltern so
die Möglichkeit zu geben, sich frühzeitig auf eine Behinderung ihres
Kindes einzustellen. Die eigentlich relevante Frage aber ist, ob es
in Deutschland in Zukunft noch ein vielfältige Gesellschaft geben
soll, in der Menschen mit angeborener Behinderung einen Platz haben.
Wer diese Frage bejaht, der muss dringend nach Anreizen suchen, die
werdenden Eltern die Entscheidung für ein Leben mit einem behinderten
Kind erleichtern.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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