Allg. Zeitung Mainz: Am Abgrund / Friedrich Roeingh zur Krise Großbritanniens
Geschrieben am 19-05-2019 |
Mainz (ots) - Kühn ist eine mehrdeutige Vokabel. Sie kann im
Deutschen wagemutig oder gewagt bedeuten. Theresa May hat sich mit
ihrer Ankündigung für eine weitere Abstimmung des Unterhauses über
ihren Brexit-Plan wohlweislich für das englische bold (gewagt) statt
dem positiver besetzten brave (wagemutig) entschieden. Nach allem,
was sich zum Ausgang der Europawahl inGroßbritannien abzeichnet, muss
nämlich bezweifelt werden, dass May noch irgendetwas bewegen kann.
Ihre baldige Ablösung durch einen hartleibigen Brexiteer wie Boris
Johnson scheint dagegen nicht mehr aufhaltbar. Zu deutlich zeichnet
sich für das kommende Wochenende der Siegeszug der Brexit-Partei
Nigel Farages ab. Nach den aktuellen Umfragen könnte die
Ein-Themen-Partei mehr Zustimmung bekommen als Labour, Tories und
Liberaldemokraten zusammen - wobei Mays Tories an letzter Stelle
landen könnten. Die Europawahl wird leider auch zeigen, wie naiv die
Vorstellung war, Großbritannien könne über ein zweites Referendum
seinen plebiszitären Fehltritt korrigieren. Nach all dem
ergebnislosen Geschacher ist der harte Brexit nun mehrheitsfähiger
denn je. Dabei bringt dieser Schritt nicht nur Europas und
Großbritanniens Prosperität in Gefahr. Das Spiel von Mays Vorgänger
David Cameron mit dem Feuer des Plebiszits hat das politische System
der ältesten modernen Demokratie an den Abgrund geführt. Ausgerechnet
das britische Mehrheitswahlrecht, das über Jahrhunderte für stabile
Regierungsarbeit stand, befördert in Zeiten des Populismus die
Destabilisierung Großbritanniens. Ein Drama mit nicht vorhersehbarem
Ausgang.
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